Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
zwischen 55 und 95 Jahren zeigten, dass dabei ganz unterschiedliche Strategien zum Einsatz kommen. Die einen entwarfen Testamente mit genauen Angaben darüber, wie ihr Besitz später verteilt werden soll; andere nahmen Geburtstage oder eine Hochzeit zum Anlass, eigene Sachen zu verschenken; wieder andere gaben Dinge weiter, wenn ein Kind oder Enkel Interesse daran zeigte oder wenn sie das Gefühl hatten, der Nachwuchs sei reif, das Geschenk ausreichend zu würdigen.
Auch das patente Ehepaar Clarke aus der Miller-Studie hat sich eine Vielzahl von Möglichkeiten ausgedacht, ihre Besitztümer abzugeben. Einmal schenkten sie ihren Kindern zu Weihnachten das alte Spielzeug und die Stofftiere, die auf dem Dachboden lagerten, und gaben sie damit an die ehemaligen Eigentümer zurück. Ein anderes Mal forderten sie Söhne und Töchter auf, Sachen, die sie gerne erben würden, mit Aufklebern in ihrer jeweiligen Lieblingsfarbe zu markieren. Wie stets in dieser Familie, schreibt Miller, wurde auch hierbei jede Ernsthaftigkeit vermieden. Sie alberten herum, machten Witze, erinnerten sich an gemeinsame Erlebnisse, und »dabei gelang es ihnen ganz nebenbei, die Dinge halbwegs fair untereinander aufzuteilen«.
Nicht immer geht das Verteilen von Besitztümern so spielerisch und vergnüglich vonstatten. In der Studie von Price äußerten viele der Befragten sehr ambivalente Gefühle. Stolz über die Rolle als Schenker, Zufriedenheit, den Verbleib geliebter Dinge geregelt zu haben, und das Vergnügen, anderen eine Freude zu machen, mischten sich oft mit extrem negativen Emotionen: die Befürchtung, Geschenke oder das Testament könnten zu Streit unter Familienmitgliedern führen, Sorge, die Beschenkten könnten die eigenen Schätze nicht ausreichend in Ehren halten, Trauer um den Verlust der Erinnerungen, die mit Gegenständen verbunden sind, auch die Angst, die abgetretene Sammlung oder die verschenkte Halskette zu vermissen.
Es fällt auch nicht immer leicht, den richtigen Empfänger für geliebte Dinge zu finden. In der Price-Studie wird ein alter Mann namens Louie beschrieben, der zwei Söhne, aber nur eine Münzsammlung hatte. Beiden Söhnen stand er sehr nahe, und beide liebten die Münzen. »Ich möchte die Sammlung wirklich nicht teilen, also wem soll ich sie geben? Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht!« gab er sein Hadern zu Protokoll. Ähnlich schwierig wird es, wenn sich niemand für die eigenen Sachen interessiert. Möglicherweise sehen die Nachkommen traditionsreiches Geschirr, handgemachte Möbel oder Reisesouvenirs nur als Staubfänger an, haben genug eigene Sachen. Vielleicht wollen sie sich auch nicht manipulieren lassen. Denn wenn Senioren ihre Sachen verschenken oder vererben, versuchen sie durchaus auch, Einfluss auf Familienmitglieder auszuüben, weiß Anthropologe Grant McCracken: »Durch sorgfältig ausgewählte Geschenke versuchen Familienmitglieder Vorstellungen und Werte, die ihnen selbst wichtig sind, in das Leben anderer Generationen einzuschmuggeln.«
Solche Gaben können relativ harmlos sein, etwa wenn ein Sammler seinen Nachkommen Sammelobjekte schenkt, um ihre Leidenschaft für das Hobby zu wecken. In einer seiner Studien beschreibt McCracken eine Witwe, die Kollektionen von Schnitzereien und Puppen besitzt. Über Jahre gibt sie wohldosiert einzelne Stücke an ihre Enkel weiter, aber nicht mehr. An Geburtstagen oder zu anderen Gelegenheiten erhalten sie eine besonders schöne Puppe oder eine ungewöhnliche Schnitzerei. Ihre Überlegung: Wenn sie den Kleinen erst einmal nur den Start einer Kollektion ermöglicht, die sie dann selbst aktiv vergrößern müssen, würden sie ganz von selbst den Enthusiasmus des Sammlers entwickeln – und sich vielleicht irgendwann über eine geerbte Sammlung richtig freuen.
Strategische Geschenke können aber auch erheblichen Druck auf den Beschenkten ausüben. Wer die Lieblingsbücher des Vaters oder ein wertvolles Schmuckstück von der Oma bekommt, fühlt sich vielleicht gedrängt, den Erwartungen und Wünschen des Schenkenden zu entsprechen, obwohl sie den eigenen Vorstellungen entgegenstehen. Auch die Gaben an sich können zur Bürde werden. Mitten im oberbayerischen Luftkurort Bayrischzell, wo mein Schwiegervater lebt, gibt es ein altmodisches Kino, in dem sporadisch Filme gezeigt werden. Folgende Geschichte wurde mir darüber erzählt. Die ursprüngliche Besitzerin hatte es 1954 in einem historischen Bauernhof eingerichtet. Später vererbte sie den
Weitere Kostenlose Bücher