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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Schaefer
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hilft aber schon, die eigenen Vorurteile kritisch im Auge zu behalten. Angenommen mein Gefühl sagt mir, dass der Mann, der im Autobahnrestaurant am Nebentisch sitzt, ein Spießer ist. Dann sollte ich mich fragen, woher dieses Gefühl kommt. Aha, ich habe gesehen, dass er einen Opel fährt und auch noch aus Baden-Württemberg kommt, und Opelfahrer/Schwaben sind Spießer, wie jeder weiß. Wer seinen vorgefassten Meinungen erst einmal auf die Spur kommt, kann sie hinterfragen. Stimmt dieses Klischee wirklich und, viel wichtiger, trifft es auf diesen spezifischen Menschen zu? Selbst wenn Frauen tendenziell emotionaler als Männer sind, heißt das noch lange nicht, dass es nicht auch extrem rationale Frauen gibt. Bei näherem Hinsehen stellt sich vielleicht heraus, dass der Mann am Nebentisch Mitglied einer Laienspielgruppe ist (wie der Aufkleber auf seinem Kalender verrät) und seine Tasche Bücher über Konfuzius und Paramahansa Yogananda enthält. Als ich ihn anspreche, entpuppt er sich als ehemaliger Ingenieur für Windkraftanlagen, der nach einem Unfall seinen Job aufgeben musste und sich nun mit östlichen Philosophien und Improvisationstheater befasst. Wer hätte das gedacht?
    Seit Beginn der Recherche zu diesem Buch habe ich mich immer wieder selbst als Schnüfflerin versucht. Besitztümer sprechen eine faszinierende Sprache, wie ich nun weiß. Zugegeben: Sie ist nicht immer leicht zu verstehen. Manchmal reden Gegenstände leise oder lügen oder verwenden einen unbekannten Dialekt. Aber wer sich mit ihren Vokabeln und ihrer Grammatik befasst, kann eine Menge über die Besitzer erfahren.
    Schlafzimmer, so meine Erfahrung, sind besonders aussagekräftig. Die besondere Atmosphäre und die Objekte in diesem privatesten aller Räume sagen oft mehr über einen Menschen, als er bereit ist, verbal über sich preiszugeben. (Meine Familie und Freunde kann ich beruhigen. Auf Beispiele werde ich an dieser Stelle verzichten.) Aber auch der Kühlschrank hat einiges zu erzählen. Findet man darin nur Bio-Produkte, vor allem Fleischiges, eine Kollektion von Filmen oder Medikamenten? Wird hier wöchentlich sauber gemacht oder alle fünf Jahre? Herrscht gähnende Leere, oder fällt einem beim Öffnen gleich der halbe Supermarkt entgegen? Solche Details sagen viel über die Lebensphilosophie und Gewohnheiten eines Menschen aus.
    Schnüffelforscher Gosling rät auch dazu, den Müll von anderen zu untersuchen. Der Abfalleimer, betont er, sei einer der dankbarsten Orte, um die persönliche Seite eines Menschen zu erkunden. Nicht umsonst stelle die Polizei bei der Ermittlung von Straftaten den Inhalt von Papierkörben und Mülltonnen sicher. Auch Fans berühmter Musiker oder Schauspieler wissen, was man alles herausfinden kann, wenn man im Müll des Idols schnüffelt. Ward Harrison beispielsweise, ein Verehrer der amerikanischen Sängerin Cher, der vor einigen Jahren die Mülltonne der Sängerin eingehend inspizierte, erzählte später, »es war so, als hielte ich ihre ganze Welt in meinen Händen«. Er beschrieb die Abfälle des Stars sogar als »Fenster in ihre Seele«. Das mag etwas übertrieben sein. Aber auch Gosling ist vom Informationsgehalt eines Mülleimers überzeugt. Angefangene und zerrissene Briefe, Kassenbelege, leere Medikamentenpackungen oder aussortierte Malsachen könnten Seiten eines Menschen aufdecken, betont er, die einem beim Blick in andere Lebensbereiche verborgen bleiben. Müll sei ehrlich, weil man ihn normalerweise nicht manipuliert, um Imagepflege zu betreiben. »Wenn man die Gelegenheit hat, auf legale Weise im Müll eines Menschen zu stöbern«, rät der Psychologe, »sollte man diese unbedingt wahrnehmen.«
    Wer jetzt denkt: Interessant, aber man muss vielleicht nicht jeden Expertenrat befolgen, darf sich übrigens meiner vollkommenen Zustimmung sicher sein.

KAPITEL 7
    Sammler: Zwischen Leidenschaft und Obsession
    B eichte: Das Thema, um das es in diesem Kapitel geht, kam in meiner ersten Gliederung für dieses Buch nicht vor. Beim Stichwort Sammeln dachte ich an die Kollektion von leicht schmuddeligen Schlümpfen, die ich als Kind besaß, an spießige Philatelistenvereine und präparierte Schmetterlinge, die nichts mehr mit der Leichtigkeit ihrer lebenden Artgenossen gemein haben. Kurzum: Das Thema hat mich nicht interessiert. Dies hat sich grundlegend geändert. Die Sammelleidenschaft ist eines der vielschichtigsten und komplexesten Phänomene des menschlichen Besitzverhaltens, wie ich heute weiß.

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