Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Mensch ist, tut man besser daran, den Schreibtisch oder das Schlafzimmer des Fremden zu inspizieren, als seine Freunde zu befragen. Das Schnüffeln ist sogar aufschlussreicher, als sich persönlich mit ihm zu treffen.
Erwähnenswert ist aber auch eine Studie über Autos, die zwei deutsche Psychologen vor nicht allzu langer Zeit machten. Kann man vom Foto eines unbekannten Menschen ableiten, welcher Wagen ihm gehört, wollten Georg Alpers und Antje Gerdes (heute beide Universität Mannheim) wissen. Die beiden verbrachten vier Tage auf einem Rastplatz, wo sie pausierende Fahrer fragten, ob sie ein Foto von ihnen und eines von ihren Fahrzeugen machen dürften. Sechzig völlig unterschiedliche Fahrer ließen sich darauf ein, Frauen und Männer, Fahranfänger und Pensionäre, Urlauber und Berufstätige. Auch bei den Autos war alles dabei, von Kleinwagen über Familienkutschen bis hin zu Luxuskarossen. Die entstandenen Aufnahmen zeigten sie einer Gruppe von zwanzig neutralen Beobachtern. Diese sahen immer drei Fotos, einen Fahrer und zwei Autos, und sollten dem Abgebildeten das richtige Gefährt zuordnen. Das gelang ihnen bemerkenswert gut: 41 Paarungen, also fast 70 Prozent, wurden von der Mehrzahl der Probanden richtig erkannt.
Die beiden Psychologen waren selbst von der Trefferquote überrascht. Andere Wissenschaftler hatten ähnliche Studien mit Fotos von Hunden und Hundebesitzern sowie von Eltern und ihren Kinder durchgeführt. Den Teilnehmern dieser Studien war es gelungen, einige richtige Paarungen zu finden, aber die Probanden von Alpers und Gerdes schnitten deutlich besser ab. »Interessanterweise scheint es einfacher zu sein, Menschen ihren Autos zuzuordnen als lebenden Wesen wie Hunden oder Babys«, schreiben Alpers und Gerdes. Dies liege womöglich daran, dass man Besitztümer frei wählen kann und sie deshalb mehr Informationen über die Persönlichkeit, die Werte und den Lebensstil ihrer Besitzer vermitteln.
Die Arbeiten der Schnüffelkundler bestätigen, was Steinbeck intuitiv wusste: Die Persönlichkeit eines Menschen hinterlässt Spuren in der materiellen Welt, ob man das will oder nicht. Und wer diese Spuren zu lesen weiß, kann sich daraus ein gutes Bild über ihn machen. Die Kleidung, das Auto, die Wohnungseinrichtung, der Schreibtisch im Büro, selbst der Müll erlauben Rückschlüsse auf die Persönlichkeit eines Menschen. Mehr noch: Für ein recht präzises Bild reichen schon einige wenige materielle Hinweise aus. In gewisser Weise können unsere Besitztümer also tatsächlich sprechen und anderen eine Menge über unsere Gedanken, Wünsche, Ängste und Eigenarten verraten.
Mancher Leser wird jetzt vielleicht Lust bekommen haben, sich einmal selbst als Schnüffler zu versuchen. Dazu muss man die Sprache kennen, die Besitztümer sprechen. Gosling hat eine Art Sprachführer entwickelt, der drei unterschiedliche Arten von Botschaften beschreibt:
»Das bin ich«: Menschen umgeben sich mit Dingen, die ihre Identität ausdrücken. Ein spiritueller Mensch stellt vielleicht Buddhafiguren oder Meditationskerzen auf; jemand, dem sportliche Leistungen wichtig sind, umgibt sich mit seinen Urkunden, Medaillen und Pokalen. Gosling nennt dies Identitätsaussagen. Manche davon sind Botschaften an das eigene Selbst. Sie dienen dazu, das Bild, das der Besitzer von sich hat, zu stärken und zu stützen; man findet sie vornehmlich im Schlafzimmer und anderen nicht öffentlich zugänglichen Räumen.
Es gibt aber auch Botschaften, die an andere gerichtet sind; sie signalisieren: »So will ich von anderen gesehen werden«. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Poster an der Außenseite der Bürotür, das der Bürobenutzer selbst gar nicht sehen kann. Solche Botschaften an andere können durchaus authentisch sein, sie können aber auch zur Täuschung eingesetzt werden. Was im Einzelfall zutrifft, ist nicht immer sofort zu erkennen.
»Das fühle ich/das will ich fühlen«: Manche Sachen dienen weniger dazu, die Identität eines Menschen zu transportieren, als vielmehr seine Gefühle in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die Farbe, die Fülle und die Form der Einrichtung können viel über die emotionalen Bedürfnisse eines Bewohners aussagen: Mag es jemand bunt, nüchtern, kühl, weiträumig luftig oder wohlig eng? Auch die CD-Kollektion oder der iPod eines Menschen sind in dieser Hinsicht aussagekräftig, denn Musik ist einer der wichtigsten Gefühlsregulatoren. Wer immer nur klassische Musik hört, wird eine andere
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