Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Fotos der Häuser neutralen Beobachtern vor, die anhand der Bilder die Geselligkeit der Eigentümer einschätzen sollten. Das dürfte nicht so schwierig sein – sollte man meinen. Tatsächlich misslang die Aufgabe den Juroren gründlich. Ausgerechnet die Häuser, die sie als besonders offen und einladend empfanden, waren von eher ungeselligen Frauen geschmückt worden. Offenbar hatten die zurückgezogen lebenden Bewohnerinnen zu Dekorationen gegriffen, die eine hohe Kontaktfreude signalisieren sollten – und die Bewerter waren tatsächlich auf das Täuschungsmanöver hereingefallen.
Nicht nur Weihnachtsschmuck eignet sich hervorragend dazu, irreführende oder gar falsche Botschaften über sich auszusenden. Insbesondere in öffentlich zugänglichen Räumen wie im Wohnzimmer oder Büro sind Gegenstände zu finden, die ein bestimmtes Bild des Besitzers projizieren sollen. Regel zwei lautet deshalb: Ein guter Schnüffler sollte nach Hinweisen suchen, die man nicht leicht manipulieren kann. Ein Schreibtisch lässt sich in relativ kurzer Zeit freiräumen; zur Not macht man eine große Schublade auf und wirft alles hinein. Sorgfältig in Alben geklebte Fotos oder eine perfekt farbkodierte Ablage dagegen verlangen System und Ausdauer, die nur ein wirklich gewissenhafter Mensch aufbringen wird. Hilfreich ist es auch, auf sich widersprechende Hinweise zu achten. Wenn jemand seinen Arbeitsplatz im Job penibel aufgeräumt hält, jedoch in einer chaotischen Bude lebt, mag sein Ordnungssinn weniger ausgeprägt sein, als er nach außen suggeriert.
Ein schwieriges Thema beim Schnüffeln sind Stereotype. Jeder Mensch lässt sich von vorgefassten Meinungen leiten, oft ohne es zu merken. Ein gutes Beispiel sind Geschlechterklischees nach dem Motto »Männer sind weniger freundlich als Frauen« und »Frauen sind das emotionalere Geschlecht«. Aber auch über Liebhaber unterschiedlicher Musikrichtungen gibt es bestimmte Vorurteile, etwa »Hardrock-Fans sind aggressiv und trinken mehr Alkohol als andere« oder »Wer gerne Popmusik hört ist oberflächlich und konventionell«. Das Problem dabei: Manche Klischees beschreiben die Realität ziemlich genau; in anderen Fällen dagegen liegen sie weit daneben. Folglich können Vorurteile beim Schnüffeln zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Manchmal ist es durchaus hilfreich, Stereotypen zu folgen. Goslings Spione kamen zu erstaunlich akkuraten Einschätzungen über die emotionale Stabilität der Schlafzimmerbewohner. Der Wissenschaftler konnte sich dies zunächst nicht erklären. An welchen Gegenständen oder anderen Hinweisen, fragte er sich, konnten sie bloß erkennen, ob ein Bewohner selbstsicher oder eher ängstlich ist? Dann ging ihm ein Licht auf: Sie nutzen Geschlechterstereotype. Dazu muss man zwei Dinge wissen. Erstens, es ist nicht allzu schwer, an der Zimmereinrichtung das Geschlecht des Bewohners festzustellen (siehe Kapitel 4 ). Zweitens, das Klischee von Frauen als emotionalerem Geschlecht besteht zu Recht; in psychologischen Tests liegt der Neurotizismus-Wert von Frauen im Schnitt höher als der von Männern. Wer von einem Frauenzimmer auf einen relativ emotionalen Bewohner schließt – wie es die Spione offenbar taten –, hat also in der Tendenz Recht. Auch Vorurteile über Hardrockfans haben sich in Studien als durchaus zutreffend herausgestellt. Eine CD -Kollektion mit Musik von Led Zeppelin, AC/DC und Van Halen spricht deshalb in der Tat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Besitzer eher zur leicht aufbrausenden Sorte gehört und vielleicht auch gerne mal mehr als ein Bierchen trinkt.
Genauso gut können Klischees aber auch auf den Holzweg führen. In den Schnüffelstudien waren die relativ schlechten Trefferquoten beim Kriterium Verträglichkeit darauf zurückzuführen, dass die Spione fälschlicherweise von einem »weiblichen Raum« auf einen freundlich-netten Bewohner schlossen. Die Frauen in der Stichprobe waren aber genauso verträglich oder unverträglich wie die Männer. Auch wer eine Popmusiksammlung als Indiz für die Konventionalität und Oberflächlichkeit des Eigentümers versteht, liegt eher daneben. Von dieser Musikrichtung lässt sich nicht auf die Persönlichkeit des Zuhörers schließen.
Woher weiß man aber, ob ein Vorurteil zutreffend ist oder nicht? Das ist eine sehr berechtigte Frage. Natürlich kann man sich mit der einschlägigen Fachliteratur über Stereotype befassen. Nicht jeder wird dazu Zeit und Lust haben. Es
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