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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Schaefer
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Mehr noch: Der Sammler als extreme Ausprägung des Besitzers erlaubt Einblicke in die Psyche, die auch für das Verständnis von Nicht-Sammlern hilfreich sind.
    Wenn ich noch irgendwelche Zweifel an der Faszination des Sammelns hegte, dann wurden sie spätestens durch das Zusammentreffen mit Rolf Jacobi weggefegt. Wenn man das Privatmuseum des ehemaligen Unternehmers betritt, ist das wie ein Ausflug in eine verzauberte Welt. An sich ist die Linnicher Straße im Kölner Stadtteil Müngersdorf ein nüchterner Ort: auf der einen Seite eine Reihe unscheinbarer Einfamilienhäuser, auf der anderen ein Funktionsbau mit eingezäuntem Parkplatz davor, in dem ein Zuckerfabrikant und ein Unternehmen für Naturprodukte residieren; man hört den Lärm der nahegelegenen Schnellstraße. Doch als ich an einem grauen Sonntagvormittag im Januar Jacobis Sammlung automatischer Musikinstrumente besuche, komme ich mir wie ein staunendes Kind im Zirkus vor.
    Die Kollektion ist in einem separaten Gebäude im Garten des großzügigen Hauses untergebracht, in dem die Jacobis wohnen. In neunzehn Räumen reihen sich Hunderte von Spieldosen, automatischen Klavieren, Flötenuhren, Orchestrionen (ein Gerät, das eine ganze Kapelle oder ein ganzes Orchester imitieren kann) und Drehorgeln. Die teilweise über hundert Jahre alten Schätze sind sorgfältig restauriert und fast alle spielbereit, wie mir Rainer Scharl, enger Freund von Jacobi und Betreuer des Museums, ausgiebig demonstriert. Als er die Instrumente eins nach dem anderen zum Erklingen bringt, hört man es in allen Tonlagen und Lautstärken pfeifen, zwitschern, klimpern, dröhnen und trommeln.
    Auch der Sammler selbst nimmt an der Privatführung teil. Jacobi ist ein betagter Mann – und das merkt man ihm auch an. Das Gesicht des Achtzigjährigen zeigt Spuren jener altersbedingten Müdigkeit, die auch durch ausgedehnte Nachtruhe nicht mehr zu beseitigen sind. Er hört nicht gut und ist auf Gehhilfe und Treppenlift angewiesen. Doch wenn er sich inmitten seiner Sammlung bewegt, scheint er plötzlich wieder viele Jahre jünger zu sein. In seinen Augen blitzt liebevoller Besitzerstolz und fast kindliche Freude über das Staunen der Besucherin. Fachkundig referiert er über die Geschichte und die technischen Herausforderungen der mechanischen Musik.
    Zu jedem seiner Schätze kann er eine Geschichte erzählen. Zum Beispiel über die »Phonoliszt-Violina«, ein zimmerhohes Gerät, mit dem es erstmals gelang, das Spielen von Geigen zu automatisieren und das deshalb unter Kennern als achtes Weltwunder unter den selbstspielenden Instrumenten gilt. Er hat sie in den 1960 er Jahren aufgrund des Tipps eines befreundeten Schreiners in einer Dorfgaststätte im Westerwald entdeckt. Dort war es viele Jahre eine Attraktion für die Kneipenbesucher gewesen, weshalb die Tochter des Hauses, die bis spät abends bedienen musste, das Gerät hasste. Als Jacobi es von ihr kaufte, spielte es nicht mehr. (»Es lagen sogar Hühnerknochen darin.«) Noch am selben Abend rief er den Schreiner an, der ihm das Monstrum auseinandernahm. Ein paar Tage später fand er einen betagten Schweizer Restaurator, der noch beim Hersteller gelernt hatte. Jacobi überredete ihn nach Köln zu kommen, wo er das Gerät in vierwöchiger mühevoller Arbeit in der Garage von Jacobis Mutter reparierte. Heute ist der prachtvolle Geigenautomat, von dem es weltweit nur noch 25 gibt, einer der Höhepunkte der Kollektion.
    Die Sammelleidenschaft hat Jacobi fast sein ganzes Leben lang begleitet. Angefangen hat alles mit einem Geschenk seiner Mutter, erzählt er mir, als wir bei Kaffee und Keksen in seinem Wohnzimmer zusammen sitzen. Für Musik und Technik habe er sich von klein auf interessiert, und als er von der Mutter, die seine Leidenschaften kannte, mit 16 Jahren ein kleines Blechplattenspielwerk bekam, habe es ihn gepackt. Jeder Mensch sei ja auf der Suche nach etwas, das ganz speziell zu ihm passt, fügt er hinzu, und er habe das Gefühl gehabt, die Spieldosenwelt sei wie für ihn gemacht. So gesellte sich zum ersten Stück ein weiteres und noch eins und so fort.
    Aus seiner Umgebung erntete er zunächst vor allem Kopfschütteln und Spott. »Die meisten hielten das für Kinderkram und nannten mich einen Spinner.« Doch Jacobi ließ sich nicht beirren und sammelte weiter. Mittlerweile war er verheiratet und leitete zusammen mit seinem Bruder das elterliche Unternehmen (der Vater fiel in Russland, als Rolf zwölf war), ein in der

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