Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Leben in der winzigen Berghütte ist er begeistert: »Der Wohnraum mag klein sein, aber wenn ich zur Tür raus gehe, kann ich direkt auf die Berge klettern. Früher gehörte mir ein Grundstück mit knapp 3000 Quadratmetern. Jetzt gehört mir die ganze Welt. Man muss etwas nicht besitzen, um es nutzen zu können.«
Rabeder hat einige solcher Sätze parat, die er mit einem sympathischen österreichischen Akzent und auf eindringliche Weise vorträgt. Man kann sich gut vorstellen, dass er mit seinen Vorträgen und Seminaren Menschen berührt. Auch mit seinem Buch Wer nichts hat, kann alles geben will er anderen Mut machen, wie er betont: »Der Schritt, den ich gegangen bin, schlummert in vielen. Die Fragen, die man sich stellen muss, sind eigentlich ganz einfach: Was gehört in mein Leben rein? Was ist wichtig? Was keine Wichtigkeit hat, darauf verzichtet man, erst ab und zu, dann immer öfter. Es geht darum, sein Leben von materiellem Ballast zu befreien.«
Haben oder Sein
Philosophen und Religionsführer postulieren seit langem, dass zu viel Besitz schädlich ist. Wer kennt nicht Jesus’ berühmten Satz: »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« Auch in anderen Religionen existiert die Idee der freiwilligen Armut als Voraussetzung für Zufriedenheit und spirituelle Erkenntnis. Ein tibetisches Sprichwort lautet: »Wenn dein Besitz die Größe einer Laus hat, dann ist dein Leiden so groß wie eine Laus. Wenn dein Besitz die Größe einer Ziege hat, dann ist dein Leiden so groß wie eine Ziege.« Und der Psychologe William James schrieb: »Leben, die auf dem Haben basieren, sind weniger frei als jene, die entweder das Tun oder das Sein in den Mittelpunkt stellen.«
Der vielleicht bekannteste zeitgenössische Kritiker eines am Besitz orientierten Lebens ist Erich Fromm. Mit seiner 1976 veröffentlichten Gesellschaftskritik Haben oder Sein , ein Bestseller, der sich bis heute weltweit viele Millionen Mal verkaufte, brachte der Sozialpsychologe und Psychoanalytiker das Unbehagen, das viele Menschen damals gegenüber der Konsumwelt empfanden, auf den Punkt. Es war die Zeit der Ökologie-, der Friedens- und Frauenbewegung. In Deutschland formierten sich die Grünen; der Club of Rome hatte seinen Bericht zu den Grenzen des Wachstums publiziert.
Mit seinem Werk traf Fromm den Nerv der Zeit. Er beschrieb Haben und Sein als zwei grundlegend unterschiedliche Lebensformen, die sowohl den Charakter einer Gesellschaft als auch der in ihr lebenden Menschen prägen. Dabei entspricht der Haben-Modus dem Geist einer »nekrophilen« Gesellschaft, die tote Dinge verehrt, und in dem sich der Mensch allein durch seinen materiellen Besitz definiert. Auf der anderen Seite steht der Lebensmodus des Seins, eine »biophile« Gesellschaft, die die Bedürfnisse des Menschen nach Liebe, Teilen und produktiver Nutzung der eigenen Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt. In der modernen Industriegesellschaft, konstatierte Fromm, habe der Haben-Modus die Oberhand gewonnen. Das Leben sei von Konsumstreben, Gewinnsucht, Gier und Neid durchdrungen, und dies werde die Menschen über kurz oder lang in innere Leere, Unzufriedenheit und Einsamkeit führen.
Seit Fromms Analyse hat die Macht des Konsums eher noch zugenommen. IPads, Handys mit Kamera, Autos mit Entertainmentsystem – es entstehen immer neue Produkte, die Bedürfnisse befriedigen sollen, die vor zehn Jahren noch niemand hatte. »Während einst ein Messer für hundert verschiedene Verrichtungen gebraucht wurde, gibt es heute hundert verschiedene Messer für jeweils eine Verrichtung«, wundert sich Psychoanalytiker Rolf Haubl. Egal ob im Fernsehen, in Zeitschriften oder im Internet, ständig prasseln Werbebotschaften auf einen ein, die sich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschliche Verführbarkeit zunutze machen. In jüngster Zeit werden sogar Neurowissenschaftler herangezogen, um Anzeigen und Spots »gehirngerecht« zu gestalten.
Die Wirkung ist unübersehbar. Shopping, Markenprodukte und Einkommensstatistiken spielen im Leben vieler Menschen eine herausragende Rolle. Manche schätzen Geld sogar höher als politische Teilhabe. Nach einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahre 2008 stimmen 22 Prozent aller Deutschen (und sogar 28 Prozent der Ostdeutschen) der Aussage zu: »Materieller Wohlstand ist mir am wichtigsten; Demokratie kommt erst an zweiter Stelle.« Und während junge Leute in den 1960 er und 1970 er
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