Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Türen geöffnet. Die Menge strömte hinein. Chaos regierte. Das Hochgefühl hält an, während ich Bücher durchblättere und untersuche, eine harte Arbeit, bei der es festzustellen gilt, ob sie zu meiner Sammlung passen, nicht passen oder ich Zweifel habe und die Entscheidung auf später verschiebe. Das nächste erwartete Vergnügen besteht darin, meine Neuerwerbungen zu Hause zu inspizieren. Zwar kann ich nach einer bestimmten Dauer meist nicht mehr sagen, wo ich welches Buch gekauft habe, und ich frage mich manchmal, warum ich ein bestimmtes Buch überhaupt gekauft habe. Aber ich sehne mich schon nach dem nächsten ›Schuss‹: einem weiteren Bücherverkauf, einer Auktion oder einem Besuch beim Buchhändler.«
Wenn man Beschreibungen wie diese liest, kann man die Begeisterung von Sammlern für ihr Hobby leicht nachvollziehen: Ihr Leben ist voller Vorfreude, Aufregung und Glücksgefühle. Sie sind in Netzwerke von Gleichgesinnten eingebunden, die soziale Anerkennung und Struktur vermitteln. Sie haben ihr eigenes Reich, in das sie sich von den Beschwernissen des Alltags zurückziehen können, und wohl definierte Ziele, die ihnen Sinn und Richtung geben. Gleichzeitig dokumentiert sie aber auch eine dunkle Seite des Sammelns: Leidenschaft kann sich in Obsession verwandeln.
Auch Ludwig-Sammler Schlim gesteht offen ein, dass sein Hobby etwas Unkontrolliertes, Gieriges hat. Wenn er auf einer Auktion ein Stück sieht, das in seiner Kollektion noch fehlt, vergisst er leicht alle Maßstäbe, erzählt er. Kauft er zu teuer, wird das schlechte Gewissen unterdrückt oder mit pseudo-rationalen Argumenten (»Letzten Monat habe ich etwas ganz billig erstanden.«) beruhigt. Bekommt er den Zuschlag nicht, kauft er oft irgendetwas, nur um überhaupt etwas zu erwerben. »Sammeln ist eine Krankheit«, sagt er, »unheilbar.«
Wenn Sammeln zur Sucht wird
Im Sommer 1986 machte sich eine Gruppe von Forschern zu einer bemerkenswerten Expedition auf. Innerhalb von zwei Monaten fuhren sie in einem Wohnmobil von Los Angeles nach Boston, also einmal quer durch die USA , um Konsumenten in ihrem »natürlichen Umfeld« zu erforschen. Nicht nur die Länge der Reise, auch die Teilnehmerzahl war beachtlich. So fuhren insgesamt zwei Dutzend Wissenschaftler von 15 US-amerikanischen und kanadischen Universitäten zumindest für Teilstrecken mit. Eineinhalb Jahre hatte die Vorbereitung für dieses Mammutprojekt gedauert, das später als Consumer Behavior Odyssey bekannt wurde.
Es ist mir nicht bekannt, ob der Name als Hinweis auf die Anstrengungen und Unannehmlichkeiten dieser Unternehmung zu verstehen ist. (Wer schon einmal mit mehreren Leuten für längere Zeit in einem Wohnwagen unterwegs war, weiß, woran ich denke.) Überliefert aber sind die bemerkenswerten Erkenntnisse, die die Forscher erzielten. Dazu gehört der Aspekt des Zwanghaften, von dem das Sammeln durchdrungen ist. Das Sammeln werde von 40 bis 70 Prozent der Sammler mit einer Sucht verglichen, heißt es im Forschungsbericht, »und vielleicht noch öfter von ihren Familien und Freunden«. Den Kauf eines weiteren Stücks bezeichneten Sammler (wie auch die Buchsammlerin von oben) gerne als fix, als Schuss, den sie brauchen, um funktionieren zu können. Obwohl solche Aussagen wohl manchmal nur halb ernst gemeint sind, betonen die Forscher: »Unsere Interviews als auch die Studien anderer deuten darauf hin, dass Sammeln süchtig machen kann.«
Man kann darüber streiten, ob Sammeln die Kriterien einer Sucht im streng klinischen Sinne erfüllt, aber zweifellos gibt es Ähnlichkeiten zur Drogen- oder Alkoholabhängigkeit. Die veränderten Bewusstseinszustände, die manche Menschen bei der Jagd nach Sammelobjekten erleben, ähneln den Gefühlen von Euphorie und Depression, die bei der Einnahme von Drogen und Psychopharmaka auftreten. Sammler können unter Angst vor Entzugssymptomen leiden; manche vermeiden es deshalb unter allen Umständen eine Sammlung abzuschließen, beispielsweise indem sie ihren Sammelfokus ein ums andere Mal erweitern oder sich immer höhere Qualitätskriterien setzen. Auch »Mehrfachabhängigkeiten«, bei denen sich jemand mehreren Sammelgebieten verschreibt, kommen oft vor.
Ein Beispiel aus der Consumer Behavior Odyssey dokumentiert das Suchtpotenzial besonders deutlich. Ein Mann, der früher heroin- und alkoholabhängig gewesen war, hatte sich nach dem Entzug dem Sammeln von Mickey-Mouse-Memorabilien zugewandt. Zur Zeit der Befragung arbeitete er als Manager
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