Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
warum reicht allein eine materialistische Haltung aus, um sich unglücklich zu fühlen?
Die Glücksformel des Rabbi Schachtel
Rabbi Hyman Judah Schachtel, der 1990 im Alter von 83 Jahren in Texas verstarb, war ein Mann überzeugender Worte. Als Schüler gewann er zahlreiche Rednerwettbewerbe und fühlte sich daraufhin zu einer Laufbahn als Prediger berufen. Er stand nicht nur auf der Kanzel, sondern hielt Vorlesungen an der Universität, hatte eine eigene wöchentliche Radiosendung sowie eine regelmäßige Zeitungskolumne. 1965 hielt er die Predigt bei der Amtseinführung von Präsident Lyndon B. Johnson. Für einen Satz, den er 1954 in seinem Buch über Lebensfreude schrieb, ist er noch heute berühmt: Glück ist nicht zu haben, was man will, sondern zu wollen, was man hat.
Die beiden Psychologieprofessoren Amie McKibban und Jeff Larsen nahmen Schachtels Weisheit kürzlich zum Ausgangspunkt für eine pfiffige Studie. Sie rekrutierten 126 Studenten, die zu insgesamt 54 Gegenständen (z. B. Auto, Mikrowelle, MP 3 -Player) zwei simple Fragen beantworten mussten:
1.Besitzt du Gegenstand xy?
2.Falls ja: Auf einer Skala von 1 bis 9 , wie sehr magst du das xy, das du besitzt?
Falls nein: Auf einer Skala von 1 bis 9 , wie sehr wünschst du dir ein xy?
Die Psychologen ermittelten dann für jeden Teilnehmer, inwieweit er die Gegenstände, die er besaß, mochte (»Wollen-was-man-hat-Wert«) beziehungsweise die Gegenstände, die er sich wünschte, tatsächlich besaß (»Haben-was-man-will-Wert«). Darüber hinaus füllten die Studenten einen Fragebogen zu ihrer allgemeinen Zufriedenheit aus.
Als die Forscher die Werte analysierten, machten sie eine Reihe interessanter Entdeckungen. Zunächst einmal bestätigte sich, dass der Besitz von Sachen allein nicht glücklich macht. Jene Teilnehmer, die viele der abgefragten Dinge besaßen, waren nicht zufriedener als jene, die nur wenige der Gegenstände ihr Eigen nannten.
Doch die eigentliche Frage lautete: Hatte Rabbi Schachtel recht? In der Tat machte es einen großen Unterschied, wie sehr ein Teilnehmer seine Besitztümer mochte. Wer einen hohen »Wollen-was-man-hat-Wert« hatte, war glücklicher als jemand, der seinen Sachen eher gleichgültig gegenüberstand. Zu wollen, was man hat, macht also glücklich.
Die andere Hälfte von Schachtels Weisheit bestätigte sich allerdings nicht: Auch der »Haben-was-man-will-Wert« beeinflusste das Glücksniveau. Wer viele der Dinge, die er stark wollte, tatsächlich besaß, war glücklicher als jemand mit vielen unerfüllten Wünschen. Wenn man dieser Studie glaubt, müsste Schachtels Spruch also lauten: Glück ist zu haben, was man will, und zu wollen, was man hat.
Es lohnt sich, diesen Satz noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, denn er liefert interessante Anhaltspunkte zu der Frage, warum mehr Besitz nicht automatisch glücklicher macht.
Wollen, was man hat
Glück ist zu wollen, was man hat – doch seine Sachen zu schätzen, ist manchmal gar nicht so leicht. Wer hat das nicht schon selbst erlebt: Man will unbedingt etwas haben, den todschicken Mantel, den neuesten Computer, das ultraleichte 21 -Gang-Fahrrad, doch wenn das Objekt der Begierde erst einmal im Hause ist, lässt die Begeisterung erstaunlich schnell nach. Am ersten Tag ist man in überschwänglicher Stimmung, nach einem Monat freut man sich zwar noch, aber ist längst nicht mehr euphorisch, und nach einem Jahr kann man kaum mehr nachvollziehen, warum einen der Mantel/der Computer/das Fahrrad einst in Hochstimmung versetzte.
Es sind vor allem zwei Mechanismen, die Glücksforscher für dieses Phänomen verantwortlich machen:
◆ Gewöhnung: Menschen tendieren dazu, sich relativ schnell an positive Umstände aller Art zu gewöhnen. Egal ob eine Beförderung, ein geliftetes Gesicht oder eben der Besitz von schönen Dingen, nach einer Weile kommt einem der Zustand, den man einmal so dringend herbeigesehnt hat, ganz selbstverständlich vor. Die Folge: Die Glücksgefühle, die man zunächst empfindet, ebben im Laufe der Zeit ab. Psychologen nennen dieses Phänomen »hedonistische Adaption« oder auch »hedonistische Tretmühle«.
◆ Soziale Vergleiche: Die Wertschätzung von Besitz findet nicht im stillen Kämmerlein statt. Menschen vergleichen das, was sie haben, mit dem, was andere besitzen. Der erste Bewohner eines Stadtviertels, der sich einen Mercedes leisten kann, wird sich wahrscheinlich sehr wohlhabend fühlen. Doch wenn im Laufe der Zeit mehr und mehr
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