Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
gegen materialistische Tendenzen sein, weil man dann weniger auf materielle Krücken angewiesen ist.
Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche, die ohnehin noch eine äußerst wackelige Vorstellung von sich selbst haben. Die beiden Marketingprofessorinnen Lan Chaplin und Deborah John puschten das Selbstbewusstsein von Kindern und Jugendlichen, indem sie ihnen suggerierten, Mitschüler und Lehrer hätten über sie mehr positive Dinge (wie cool, hübsch, lustig) gesagt als über andere Teilnehmer. Daraufhin reduzierte sich die materialistische Haltung der jungen Leute drastisch. Besonders dramatisch war der Effekt bei den Zwölf- und Dreizhenjährigen, deren Materialismuswert sich mehr als halbierte.
Mich persönlich hat die Beschäftigung mit der Glücks- und Besitztumsforschung angeregt, mir klarzumachen, an welchen Dingen mein Herz wirklich hängt. Ein Satz von Mihalyi Csikszentmihalyi ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: »Wenn man darüber nachdenkt, was die am meisten geliebten Objekte sind, die man besitzt, dann stellt sich heraus, dass Konsumgüter oft nicht dazu gehören.« Viele der von ihm in der Chicago-Studie befragten Menschen sagten, ihre Lieblingsdinge seien junk , Krempel mit geringem finanziellen Wert, eine abgenutzte Couch, alte Fotos, selbstgemalte Bilder der Kinder. Die meisten meiner »Schätze« reihen sich mühelos in diese Liste ein.
In dieser Erkenntnis könnte eine befreiende Botschaft liegen, meinte der Forscher weiter: »Der zunehmende Konsum ist eine Verhaltensweise, die wahrscheinlich aufgegeben werden könnte, ohne die zentralen Ziele und Werte, die Menschen im Leben verfolgen, zu beeinträchtigen.« Dies ist für mich in der Tat ein hilfreicher Gedanke: Um das auszudrücken, was einem wirklich wichtig ist, die Verbundenheit mit anderen, persönliche Erinnerungen, eigene Fähigkeiten und Talente, sind oft ganz einfache oder alte Dinge am besten geeignet. Warum meint man dann eigentlich, ständig neue und teure Konsumgüter kaufen zu müssen?
KAPITEL 9
Von Dingen Abschied nehmen
I n seiner skurrilen Kurzgeschichte »Sammlerinnen und Jäger« beschreibt der amerikanische Autor T. C. Boyle ein Ehepaar, das von der Masse seiner Besitztümer überwältigt wird und Hilfe bei einer professionellen Aufräumexpertin sucht.
Das Heim der Laxners ist so überladen, dass es praktisch kein freies Fleckchen gibt: weder im Gartenhäuschen, dessen Tür man nicht mehr aufmachen kann, noch auf der Veranda, wo sich Bücherregale, Schränke und Schaukelstühle bis zur Dachrinne stapeln, noch im Haus selbst, das praktisch unbewohnbar ist, weil überall Kram steht. Als Marsha mit ihrer letzten Akquisition, einer Mahagoni-Kommode, nach Hause kommt, ist für ihren Mann Julian die Sache klar: Es muss etwas passieren. Er engagiert eine professionelle Aufräumerin, die ihren Besitz – und ihr Leben – in Ordnung bringen soll. Die forsch-strenge Susan Certaine beginnt mit ihrer Aufgabe, indem sie das Kernproblem diagnostiziert: Das Paar sei »besudelt« und »unrein« (eine Formulierung, bei der man unweigerlich an Freuds analen Charakter denkt) und sie sei die einzige, die sie wieder saubermachen könne. Nachdem die Laxners einen Vertrag unterschrieben und das Honorar von 1000 Dollar am Tag bezahlt haben, legt das Team der Expertin los. Marsha wird derweil in ein Therapiezentrum für Menschen mit »Sammelstörungen« geschickt, während Julian in einem Wohnheim für co-abhängige Angehörige unterkommt.
Als das Ehepaar nach einer Woche nach Hause zurückkehrt, findet es das Haus völlig leer vor. Alle Besitztümer sind verschwunden. Weder das Bett noch der Fernseher noch das geliebte Teleskop des Hausherrn sind da. Julian ist wütend, fühlt sich betrogen, vermisst sein altes Heim und die vertrauten Sachen. Er wird darüber aufgeklärt, er habe mit seiner Unterschrift der Radikalkur zugestimmt. Der Vertrag enthalte aber eine Klausel, die ihnen eine sechzigtägige Gnadenfrist gewährt. Jeden Tag dürfen sie einen einzelnen Gegenstand aus dem Lagerhaus holen, in das ihre Besitztümer gebracht worden sind. Danach werden die restlichen Dinge versteigert. »Sie wären überrascht,« versichert Certaine, »wie viele Paare überhaupt nichts zurückfordern, kein einziges Objekt.«
Es ist ein Extremfall, den Boyle hier beschreibt. Die völlig aus der Kontrolle geratene Sammelwut von Marsha Laxner, die ein normales Leben unmöglich macht, ist ebenso extrem wie die professionelle Aufräumerin Susan
Weitere Kostenlose Bücher