Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Behl ihren Umzugscontainer in Jakarta begrüßte, sah er eigentlich so aus, wie sie ihn in Deutschland verabschiedet hatte. Die Germanistin, die heute als Redakteurin und Moderatorin bei Radio Bremen arbeitet, wartete bereits sehnlichst auf ihre Sachen, vor allem auf ihre Bücher, die sie brauchte, um an der Universität zu unterrichten. Sie war nur mit einem Koffer angereist und freute sich darauf, das geräumige Haus, das sie angemietet hatte, zu möblieren. Die Anlieferung war eine größere Aktion: Genehmigungen mussten eingeholt und Straßen gesperrt werden. Doch schließlich stand der Container vor der Haustür, und die Umzugsmänner öffneten die hintere Lade.
Was Behl dann sah, wird sie wohl ihr Leben lang nicht vergessen. Aus dem Inneren des Containers ergoss sich ein Schwall von pappmachéartigem Brei; alle Möbel, Haushaltsgegenstände und Kisten waren davon überzogen. Bei genauerer Inspektion fanden die Männer auf dem Dach zwei größere Löcher, die wohl bei der Umladung im indischen Mumbai verursacht worden waren. Weil gerade Monsunzeit war, hatte es über vier Wochen durch die beiden Lecks auf Behls Sachen geregnet. Bis zur Ankunft in Indonesien stand das Wasser im Container mehr als einen Meter hoch. Die 4000 Bücher hatten sich komplett aufgelöst, und die Masse, die entstanden war, hatte fast alle anderen Sachen in Mitleidenschaft gezogen.
Als sie das Malheur sah, habe sie eine Art Gehirnleere gespürt, erinnert sich die Journalistin, als ich sie in Bremen anrufe, um über ihre Erlebnisse zu sprechen: »Ich glaubte, ich hätte eine tropische Halluzination.« Die Umzugsmänner schaufelten den Inhalt des Containers in den Vorgarten neben den Swimming Pool. Zwei Wochen lang musste Behl den Anblick des schmierigen Berges, der einmal ihr Hausstand gewesen war, ertragen. Solange dauerte es, bis sie alle beschädigten und zerstörten Dinge so aufgelistet hatte, dass sich der örtliche Versicherungsagent endlich zufriedengab.
Es war eine emotionale Durstrecke. Die Fremde war ohnehin überwältigend, sie vermisste die Heimat, Familie und Freunde. Die vertrauten Sachen hatten ihr Halt geben sollen. Nun fühlte sie sich völlig allein: »Im Container waren alle Erinnerungen an zu Hause, an das heimische Lebensgefühl, das war jetzt alles weg. Ich hatte das Gefühl, von dem, was ich räumlich hinter mir gelassen hatte, abgeschnitten zu sein.« Jedes Mal, wenn sie aus dem Haus trat und den Müllberg sah, seien ihr die Tränen gekommen.
Gut eine Woche ging das so. Doch dann breitete sich in ihr eine ganz andere Stimmung aus: ein Gefühl der Freiheit und des Neuanfangs. Längst war ihr bewusst geworden, wie verschieden die indonesische von der westlichen Kultur ist, die Häuser spärlich möbliert, die Menschen weniger an Besitz orientiert. Ihre Sachen, merkte sie, hätten gar nicht so richtig dorthin gepasst und wären wie Fremdkörper gewesen. Da sie nun weg waren, konnte sie sich vollkommen für die neue Heimat öffnen: »Ich war sozusagen mit nackter Haut angekommen und konnte alles direkt aufnehmen.« Obwohl sie den finanziellen Verlust von der Versicherung ersetzt bekam, kaufte sie nur ganz wenige neue Sachen, Betten für sich und Gäste, ein paar Sitzkissen und Matten, wie sie in Indonesien üblich sind – und fand es wunderbar.
Sie hatte viel Platz, und das hatte weitreichende Folgen. In den nächsten Jahren entwickelte sich ihr Haus zu einem bekannten Treffpunkt. Jeden Tag hatte sie zehn bis zwanzig Leute zu Besuch: Künstler, Studenten, Professoren. Sie zeigte deutsche Filme, ließ eine Bühne für Theateraufführungen errichten. Wenn sie das Haus europäisch eingerichtet hätte, ist Behl sicher, wäre so etwas nicht möglich gewesen. Auch ihr Privatleben blieb nicht unberührt. Sie verliebte sich in einen indonesischen Schauspieler; heute ist das Paar verheiratet und hat eine mittlerweile erwachsene Tochter. Hätte sie damals nicht ihren gesamten Besitz verloren, wäre ihr Leben wohl anders verlaufen. »Ich will nicht sagen, dass es nur an dem Unglückscontainer lag«, betont Behl, »aber es hat eins zum anderen geführt. Das Unglück hat die Voraussetzungen geschaffen, nicht mit einer kompletten Geschichte, sondern nur als Silke anzukommen.«
Ihre Beziehung zu materiellen Dingen hat sie aufgrund ihrer Erlebnisse vor 25 Jahren grundlegend verändert. An der spärlichen Möblierung hat sie bis heute festgehalten. Im Wohnzimmer der großzügigen Wohnung, die sie mit ihrem Mann bewohnt, stehen ein
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