Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Schrank, ein Tisch und eine Holzbank aus Indonesien, ein paar Stühle aus einem Billigladen, die sie knallrot gestrichen hat, und zwei Sofas, Geschenke der Mutter, die die Leere als ungemütlich empfand. Sie hänge ihr Herz nicht mehr an Gegenstände, betont die Radiofrau: »Das ist ungemein entlastend, auch gegenüber meiner Tochter, die ja einmal alles erben wird.«
Während des Interviews bekam ich mehrmals eine Gänsehaut. Zum Teil lag es wohl daran, dass ich selbst zweimal über den Atlantik umgezogen bin und die Angst um das Umzugsgut kenne. Aber es war viel mehr als das. Behls Erlebnisse berührten mich, weil sie zentrale Aspekte des menschlichen Verhältnisses zu Besitztümern auf den Punkt bringen: wie sehr die Dinge, die man um sich versammelt, die eigene Identität und das Lebensgefühl beeinflussen; welche tiefe Wirkung der Verlust von Besitztümern hat; wie wichtig es ist, sich gelegentlich von Altem zu trennen.
Überhaupt hat mich vieles von dem, was ich von meinen Gesprächspartnern über ihre Erfahrungen mit Besitztümern hörte, bewegt: die tiefe Sehnsucht von Robert Wiezorek nach seinem verlorenen Heim; der Verdruss, den Karl Rabeder wegen seiner Flugzeuge und Häuser empfand; die Aussage von Rolf Jacobi, Sammler wollten wegen ihrer Sammlungen geliebt werden; die Fähigkeit von Nachlasspflegerin Müller-Mamerow, die Persönlichkeiten und Eigenarten von Menschen nur anhand ihres Nachlasses zu erkennen – und viele andere Begebenheiten und Erkenntnisse von Fremden, Freunden und Verwandten, die ich nicht in dieses Buch aufnehmen konnte.
Aber auch die Experimente, Studien und Theorien, über die ich im Laufe der Recherche gestolpert bin, haben mich erstaunt und inspiriert. Ich finde es bemerkenswert, wie treffend William James bereits Ende des 19 . Jahrhunderts die Vermischung von Identität und Besitz beschrieb, obwohl die Welt damals noch relativ wenig mit der modernen Konsumgesellschaft gemein hatte. Die hohe Bedeutung, die insbesondere Kinder und Senioren ihren Sachen beimessen, erscheint mir nun in ganz anderem Licht. Und wer hätte gedacht, dass Affen an Leckereien hängen, nur weil sie ihnen gehören?
Von den zahlreichen Aspekten, die das Verhältnis zu Dingen so faszinierend macht, stechen für mich persönlich drei heraus:
Die Trennung von Besitz kann ein Katalysator für Veränderungen sein
So traumatisch es ist, geliebte Sachen unfreiwillig zu verlieren, so belebend kann es sein, freiwillig zu verzichten. Die Geschichte des Unglückscontainers ist auch deshalb so faszinierend, weil bei ihr beides zusammenkommt: eine unfreiwillige Trennung, aber dann ein Gefühl des Neuanfangs.
Menschen, die ihr Leben radikal ändern wollen, fangen oft mit dem Abschied von materiellen Besitztümern an. Karl Rabeder ist nur ein Beispiel. Im Laufe der Recherche habe ich von zahlreichen anderen gehört: Ein junger Mann, der seine problematische Jugend hinter sich lassen will, gibt seinen gesamten Hausstand auf, um sich zu Fuß von Köln nach Jerusalem aufzumachen; eine Journalistin, die bislang über Stars und Sternchen in Hollywood schrieb, verteilt einen Großteil ihres Besitzes und geht mit dem Friedenskorps nach Südafrika; eine gerade geschiedene Umweltschützerin verzichtet auf den Schutz, den ein mit Dingen angefülltes Heim bietet, setzt sich in ein kleines Ruderboot und überquert den Atlantik. Diese Leute trennen sich nicht nur aus Praktikabilitätsgründen von ihren Sachen, weil sie ins Ausland oder auf Reisen gehen. Schließlich kann man seinen Hausstand auch einlagern. Es scheint für sie emotional wichtig zu sein, Ballast abzuwerfen.
Wenn sich das Lebensgefühl oder die Identität ändert, hat man ein starkes Bedürfnis, dieses auch in seinen Besitztümern sichtbar werden zu lassen. Mehr noch: Wo Altes verschwindet, kann Neues wachsen. Dabei müssen es gar nicht unbedingt radikale Aktionen sein. Auf die richtigen Fragen kommt es an: Besitze ich eine Sache, weil sie mir etwas bedeutet, oder bedeutet sie mir etwas, weil ich sie besitze? Was genau ist es, was mich mit einem Objekt verbindet? Passt eine Sache zu der Person, die ich heute bin, oder ist sie das Überbleibsel eines vergangenen Selbst? Bin ich Herr über meinen Besitz oder bestimmen der Lebenspartner/Werbung/Gewohnheiten, was sich in meiner Wohnung befindet? Wer sich Fragen wie diese ehrlich beantwortet, wird möglicherweise ganz automatisch zu einem Zustand gelangen, in dem er sich mit weniger, aber für ihn bedeutungsvollen
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