Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Seniorenheim. Bei anderen hat sich im Laufe des Lebens ein materielles Zuviel eingeschlichen. Alef erlebt eine Menge Scham: »Viele sind überzeugt, so etwas wie Aufräumen sollte man eigentlich allein können.« Die meisten Hilfesuchenden sind Frauen. Aber es kommen auch Männer, die von ihren Partnerinnen Gutscheine geschenkt bekommen haben oder durch die Werbeaufschrift auf Alefs Autotür auf sie aufmerksam geworden sind. Mit beiden Geschlechtern hat die Aufräumexpertin gute Erfahrungen gemacht: Männer fragten mehr Hintergrundinformationen ab, wollten intellektuell unterfüttert werden; Frauen dagegen gingen pragmatischer vor.
Der hauptsächliche Wunsch ihrer Kunden, so Alef, sei, mehr Klarheit zu schaffen. Viele hätten kein Gespür dafür, wo Dinge ihren festen Platz finden können. Sie hat auch mit Menschen zu tun, die man als Messies bezeichnen würde. Aber nach ihrer Erfahrung kann man das gar nicht so genau trennen: »Egal ob Messie oder nicht, das primäre Problem beim Ausmisten ist der bohrende Zweifel, man könnte den Gegenstand später noch brauchen.«
Wer sich für eine Beratung von ihr entscheidet, wird zunächst mit der Frage konfrontiert, an welchem Ort in der Wohnung es besonders pressiert. Dort fängt sie an. Sie gibt ihren Kunden auch praktische Tipps. Aber wichtiger ist ihr der emotionale Prozess. Behutsamkeit ist dabei für sie das zentrale Wort: »Wegwerfen ist etwas Endgültiges, hinterlässt eine Leere. Beim Ausmisten besteht immer die Gefahr, dass später Zweifel aufkommen.« Menschen können in eine regelrechte Aufräumrage kommen, weiß sie: »Schnell fliegt dann etwas weg, was einem später leid tut.« (Das gilt insbesondere, wenn es sich um Sachen anderer handelt, wie ich aus eigener – schmerzlicher – Erfahrung weiß. Als ich am Anfang unserer Ehe ein Paar abgetragene Sandalen meines Mannes in den Müll warf, ohne ihn zu fragen, nahm er mir das gefühlte zehn Jahre übel. Selbst heute wird dieser Fauxpas zuweilen noch gegen mich verwendet.)
Deshalb sei es wichtig, so Alef, mit Aufmerksamkeit und Vorsicht heranzugehen. Sie rät ihren Klienten, jedes Stück in die Hand zu nehmen und sich zu fragen: Was bedeutet es mir? Welche Gefühle löst es aus? Wenn man sich für das Wegwerfen entscheidet, dann mit einer Haltung der Dankbarkeit: »Man sollte den Gegenstand noch einmal wertschätzen, sich vielleicht sogar bedanken. Dies verhindert, dass später allzu starke Zweifel aufkommen. Man wird die Sache weniger vermissen.« Trotzdem muss man sich auf ein hartes Stück Arbeit einstellen. Die Trennung von Besitztümern ist eine anstrengende und intensive Tätigkeit, selbst für Profis wie Alef. Maximal fünf Stunden am Tag widmet sie sich dem Aufräumen und Ausmisten, und manchmal muss sie nach einer Beratung sogar weinen. Das zeige, meint sie, wie viel Energie im Besitzen und Festhalten gebunden ist.
Und welche Vorteile darf man sich von einer Ausmistaktion versprechen? Viele ihrer Kunden, betont Alef, erlebten ein Gefühl der Befreiung: »Durch das Loslassen von Dingen, das Reduzieren kommt man näher an sich selbst heran. In einem vollen Raum ist es tendenziell schwieriger, sich selbst zu fühlen.«
Weniger ist manchmal mehr
Ausmisten tut der Seele gut, das ist eine Botschaft, die viele Aufräumexperten vermitteln wollen. Manche beschreiben die positiven Wirkungen sogar noch deutlich überschwänglicher. Die Engländerin Karen Kingston, eine Art Grande Dame der Aufräumbranche, listet in ihrem Buch Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags eine ganze Liste von Problemen auf, die durch eine gründliche Ausmistaktion beseitigt werden können: Müdigkeit und Lethargie, wirres Denken, Leben in der Vergangenheit, unnötige Kosten, Disharmonie und Streit, selbst Depressionen, Übergewicht und andere Gesundheitsprobleme.
Was ist dran an solchen Behauptungen? Leider haben sich Wissenschaftler kaum systematisch mit dieser Frage befasst. Doch in jüngster Zeit wurden einige Studien veröffentlicht, die zumindest indirekte Hinweise auf die Effekte des Ausmistens geben. Zwei Neurowissenschaftlerinnen von der Princeton University beispielsweise untersuchten, wie Objekte im unmittelbaren Umfeld die Aktivitäten in bestimmten Hirnregionen beeinflussen. Sie stellten fest, dass »mehrere gleichzeitige visuelle Stimuli im Gesichtsfeld eines Menschen um neuronale Repräsentation konkurrieren, indem sie ihre evozierte Aktivität im visuellen Cortex gegenseitig unterdrücken.« Oder einfacher
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