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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Schaefer
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Sachen umgibt. Und in jedem Fall wird er eine Menge über sich selbst erfahren.
    Praktisch jeder Mensch hat Dinge, die ihm ganz besonders am Herzen liegen
    Während der vielen Monate, die ich recherchierte, und den zahlreichen Gesprächen, die ich führte, bin ich auf niemanden gestoßen, der keine geliebten Dinge besitzt. Selbst Menschen, die betonen, materieller Besitz sei ihnen nicht wichtig, haben keine Probleme, ein paar Lieblingsstücke zu nennen. Für Silke Behl beispielsweise sind es eine Buddha-Figur aus Indonesien, die sie als Schutzgeist betrachtet, sowie ein in Tesafilm eingewickelter Pfennig aus dem Jahre 1942 , der Glücksbringer des Vaters, den er ihr zur Promotion vermachte. Als sie noch in Jakarta einen Ring ihrer Mutter verlor, ließ sie – erfolglos – den ganzen Garten umgraben. »Den Ring zu verlieren«, erzählt sie, »war schlimmer als die Sachen im Container.«
    Selbst Menschen, die kaum etwas besitzen oder gar auf der Straße leben, halten an ein paar persönlichen Schätzen fest. Dies konnte ich in eindrucksvollen Gesprächen mit ehemaligen Obdachlosen erfahren. An einem eiskalten Dezembertag fuhr ich mit dem Zug nach Düsseldorf, um fiftyfifty , einem Straßenmagazin, das von Menschen in sozialer Not verkauft wird, einen Besuch abzustatten. Während der Fahrt bekam ich Zweifel. Wie bin ich bloß auf die Idee gekommen, fragte ich mich, Leute, die von ein paar Euro am Tag leben, über die Beziehung zu geliebten Dingen interviewen zu wollen? Haben sie nicht ganz andere Sorgen? Werden sie meine Fragen nicht für völlig banal halten?
    Ich hätte mir keine Gedanken machen müssen. Die Menschen, die ich bei fiftyfifty traf, konnten mit dem Thema sehr viel anfangen. Susie beispielsweise, mit schwarzer Pudelmütze, einem schwarzen Nicki-Pullover und Jeans bekleidet, die Augen dick mit schwarzem Kajal umrandet, hat zehn Jahre lang abwechselnd im Knast gesessen und »Platte gemacht«. Mit ein paar Kumpeln hauste sie in einer Zeltstadt auf den Rheinwiesen. Sie besaß nur das Nötigste, auch um nicht so viel herumschleppen zu müssen, erzählt sie, aber Fotos ihres geliebten Großvaters hatte sie immer dabei. Auch Andreas, ein Mann Ende dreißig, dessen Hände vom vielen Draußen-Stehen rot und aufgedunsen sind, redet gern über seine Lieblingsdinge. Das Leben als Straßenverkäufer sei stressig, meint er. Ständig müsse man laufen, organisieren, seinen Platz verteidigen. Sein wichtigster Schatz ist ein Anhänger mit Maya-Motiv, den er seit sieben Jahren besitzt und mit dem er sogar duschen geht: »Den darf niemand ohne Erlaubnis anfassen. Er gibt mir Kraft.« Thomas, der am Nebentisch sitzt und einen Kaffee trinkt, sammelt Schlüsselanhänger; viele Hundert Stück umfasst seine Kollektion. Seit er arbeitslos ist, kauft er nur noch gelegentlich welche dazu, denn er hat ein schlechtes Gewissen, überhaupt Geld dafür auszugeben. Sein Freund Willi, ebenfalls früher obdachlos, hängt am Tafelservice seiner Oma. Das steht im Schrank, wird nicht benutzt, aber einmal im Monat holt er es zum Abstauben heraus.
    Dinge zu besitzen, die das Herz ansprechen, ist keine Frage von arm oder reich. Für Menschen, die wenig haben, können sie sogar eine besonders wichtige Stütze sein. Das bestätigen auch wissenschaftliche Studien. Eine amerikanische Untersuchung mit Frauen in Obdachlosenheimen ist besonders interessant. An typischen Konsumgütern waren die Frauen eher desinteressiert, vielleicht um sich nicht zu sehr an sie zu binden. Dies zeigte sich in einer gewissen Achtlosigkeit. Manche warfen Kleider, die sie im Heim erhalten hatten, lieber weg, als sie zu waschen; auch mit Küchenutensilien und anderen Haushaltsgegenständen gingen sie nachlässig um. Manche Dinge aber, meist solche, die sie an wichtige Menschen erinnerten oder ein besseres Leben symbolisierten, waren ihnen fast heilig, und sie ließen sie kaum aus den Augen.
    In einer Lebenssituation, in der man vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten ausgeliefert ist, ob in einem Obdachlosenheim oder anderswo, tut es gut, Lieblingsdinge um sich zu haben, die ein Gefühl von Identität, Kontinuität und Hoffnung vermitteln. Wenn es hart auf hart kommt, scheinen diese geliebten Objekte viel wichtiger als Statussymbole und Konsumartikel zu sein. Das ist, finde ich, ein tröstlicher Gedanke.
    Die Beziehung zwischen Menschen und ihren Sachen ist höchst individuell
    Wenn zehn Leute den gleichen Gegenstand besitzen, bedeutet er für jeden etwas anderes und

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