Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
nicht irren. Nicht nur eitel, auch noch eingebildet«, stöhnte Franzi. »Du riechst streng, Paul. Was willst du dagegen unternehmen?«
»Ich weiß es nicht, Franzi«, sagte Paul gleichmütig. »Eigentlich geht es mir gut. Kölnisches Wasser wäre eine Möglichkeit.«
»Bei dir piept es wohl«, hatte Franzi gesagt und ihm heftig den Finger an die Stirn getippt.
Es war dann Opa Tesch, der die Sache in die Hand nahm.
»Komm, mein Junge«, sagte er und hielt Paul einen mit Kleidung vollgestopften Beutel unter die Nase.
»Badetag im Neptunbad. Da gibt es ein Dampfbad.«
»Mensch, Opa. Wie komme ich zu der Ehre, dass du den Garten verlässt?«
»Es wurde mir befohlen«, erwiderte Opa Tesch augenzwinkernd. »Und mach dir mal keine Sorgen, Paul. Nackte Männer brauchen keine Papiere.«
Paul lag im Becken unter der riesigen Kuppel der städtischen Badeanstalt, planschte und ließ sich treiben. Opa Tesch zog unermüdlich seine Bahnen.
Nach dem Bad war Opas Gang federnd. Er breitete die Arme aus, als wolle er die Welt umarmen, und stieß seinen Gehstock tatendurstig in den Himmel. Sie bummelten über die Venloer Straße, tranken in einem billigen Café eine fürchterliche Brühe, die sie frecherweise als Kaffee verkauften, und bissen in knochentrockenen Streuselkuchen, der zwischen den Fingern zerbröselte.
»Straßenstaub«, sagte Opa Tesch und seufzte. »Dreck«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Sie bescheißen dich, wo sie nur können.« Er sagte das so laut, dass die Bedienung hinter dem Tresen den Kopf einzog, laut mit dem Geschirr klapperte und sich in eine Ecke verzog. Opa Tesch wertete das als eine Art Schuldeingeständnis und pfefferte die Kuchengabel auf das kaffeefleckige Tischtuch. »Wenn das der Führer wüsste.«
Paul duckte sich und wünschte, sie säßen jetzt in ihrem Garten. Vielleicht auf dem Hackklotz mit einer Zigarette im Mundwinkel und der Sonne im Gesicht. Sogar ihr Kaffee war besser.
»Mensch, Opa, wir fallen auf. Die gucken schon alle.«
»Man kann sich nicht alles gefallen lassen, Junge«, sagte Opa Tesch, ohne die Stimme zu senken. Die Bedienung verschwand hinter einem Vorhang. Sie hörten Wasser rauschen.
»Du musst unter die Leute.« Opa Tesch senkte die Stimme und sah ihn verschwörerisch an. »Junge, im Garten werden wir zu seltsamen Eigenbrötlern.« Er schob die Tasse beiseite und grölte: »Ich glaube, ich könnte noch etwas Unterhaltung vertragen. Wie wäre es?«
»In diesem gottverlassenen Loch? Opa, wie stellst du dir das vor?«
»Na, dann komm mal mit.«
Vom Neptunplatz in die Urania-Lichtspiele in der Venloer Straße war es nur ein Katzensprung.
»Mal was anderes für dich, Junge«, grummelte er, stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und deutete auf das Filmplakat neben der Kasse. Hab mich lieb. Das Foyer war gut gefüllt. Soldaten mit ihren Mädchen, Männer mit Aktentaschen unter dem Arm und sogar Frauen mit Einkaufstaschen. Heitere Erwartung lag in der Luft und Paul spürte dieses seltsame, neugierige Kribbeln in der Magengegend. Er war aufgeregt, ohne zu wissen, warum. Ein Kino hatte es nämlich in seinem verschlafenen Eikamp nicht gegeben. Er hatte einmal mit seinem Vater vor einem gestanden. Für Hunde und Juden verboten, hieß es auf einem Schild an der Eingangstür und Vater war mit ihm an der Hand weitergegangen. Er hatte gespürt, wie sein Händedruck fester geworden war und wie er ihn fortzog. Nicht einmal die Fotos hinter den Glasscheiben hatte er sich ansehen können. Das mit dem Schild, den Hunden und den Juden hatte er nicht gleich verstanden. Erst am Abend, als Vater der Mutter davon erzählte, ging ihm ein Licht auf.
»Träum nicht, Junge.« Opa Tesch buffte ihn an. »Du musst bezahlen.«
»Wir sind so gut wie ausverkauft«, sagte die Frau in dem Kartenhäuschen und wühlte mit den Fingern in der Kasse. »Parkett?«, fragte sie. »Zweimal?«
»Rasiersitz«, grummelte Opa Tesch. »Egal, Junge. Bezahl und dann nichts wie rein ins Vergnügen.«
Sie zwängten sich in die Sitzreihe. Die Wochenschau lief. Panzer fuhren über eine staubige Steppenlandschaft. Dann stürzten sich Stukas infernalisch jaulend auf eine Gleisanlage.
»Siegreich. Erfolgreich. Opferbereit. Tapfer.« Viel mehr bekam Paul nicht mit. Er versuchte, sich im Halbdunkel zurechtzufinden, und tastete nach der Sitzlehne.
»Deckung, Lulatsch.« Paul brauchte einen Moment, bis er kapierte, dass er gemeint war. Er rutschte tief in das fleckige abgeschabte Rot des Sesselpolsters und
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