Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Da hörte sich »Gärtner« doch eher nach einem richtigen Beruf an. Nein. Das war es nicht. Auch nicht, dass in der Gärtnerei der Ernst des Lebens auf ihn wartete. Vater hatte immer sehr bedeutungsvoll davon gesprochen. Von der Arbeit, die getan werden musste, den Verpflichtungen, die man hatte, der Verantwortung, die getragen werden wollte, und dem Auskommen, das man haben musste. Es bedeutete frühes Aufstehen und lange Tage Plackerei. Das machte ihm aber nichts. Auch wenn er sich gerade an das ungezwungene Leben im Schrebergarten gewöhnt hatte, konnte er sich doch ein geregeltes Leben vorstellen. Es hatte durchaus seine Vorzüge.
Das war es also auch nicht. Seine Bedenken betrafen vor allem Franzi. Nicht als Person. Sie war nämlich verdammt nett. Aber sie war ein Mädchen und Paul hatte keine Erfahrungen mit Mädchen. Er wusste nicht, worauf er sich einließ. Sie waren beinahe jeden Tag zusammen. Sie hatten sich geküsst. Und nicht nur das. Die Vorstellung, gemeinsam mit Franzi zu leben, endlich ein festes Dach über dem Kopf zu haben und sich frei bewegen zu können, ließ sein Herz höher schlagen. Es waren aber auch Ängste da. Er war nicht der erste Junge in ihrem Leben und er fragte sich, ob sie sich mit ihm begnügen würde. Konnte sie überhaupt etwas mit ihm anfangen, wenn es länger als einen Monat dauerte? Was fand sie an ihm? Er war doch nichts weiter als ein ahnungsloser Bursche vom Land. Gestatten, Paul. Kohlenträger und Judenbengel. Ohne Zukunft. Andererseits. Er sah blendend aus und küssen konnte er wirklich. Wie kein Zweiter. Und überhaupt. Er stand mitten im Leben. Sie hatten Krieg und es konnte in jedem Moment vorbei sein. Trotzdem. Franzi machte ihn verletzlich. Angreifbar. Verwundbar. Er hatte Angst vor dem Verlust. Dabei besaß er doch gar nichts. Oder noch nichts. Verdammt, dachte er. Es ist kompliziert.
»Tja«, hatte Fatz gesagt, als Paul einmal versucht hatte, ihn ins Vertrauen zu ziehen. Sie standen in der warmen Sonne vor Opa Teschs Laube und stützten sich auf die Spaten. Sie hatten seinen Garten umgegraben und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Fatz kaute auf einem Grashalm, meinte kurz: »Wenn die Frauen dich an den Eiern haben, bist du geliefert.«
»Was fällt dir denn ein!«, hatte Paul ihn angefahren, dann hatte er sich auf ihn gestürzt, ihn zu Boden geworfen, ihm die geballte Faust unter die Nase gehalten, während Fatz kicherte und zappelte wie ein albernes Mädchen.
»Erwischt!«, rief Fatz. »Du wehrst dich, weil ich die Wahrheit genau auf den Punkt getroffen habe!«
Paul wollte nicht in die Stadt. Er wollte eigentlich überhaupt nicht mehr unter Menschen. Und das hatte einen naheliegenden Grund: Er stank. Er hob den Arm und schnüffelte unter seiner Achsel. Er müffelte nach Kleingarten, Zigarettenrauch, feuchten Klamotten, Schweiß und Zwiebeln. Paul hätte so etwas nie für möglich gehalten. Er sehnte sich tatsächlich nach einem Bad, nach heißem Wasser, duftender Seife und sauberen Klamotten. Hier hatten sie nur die quietschende Wasserpumpe an der alten Pferdetränke, die mal Wasser spendete, mal nicht. Außerdem Kernseife und einen Waschlappen.
Allerdings hatte Bastian ihm strikt verboten, die Kolonie zu verlassen. »Zu gefährlich. Stell dir vor, die Nazis erwischen dich. Eine zweite Chance kriegst du nicht. Du kannst auch ohne Badewanne glücklich werden.«
»Ja«, schimpfte Franzi, »aber auch ganz schön einsam.«
Franzi hatte schließlich Hottes Kleiderschrank geplündert. Paul war etwas größer als Hotte. Sie hielt ein weites, kragenloses dunkelblaues Hemd an spitzen Fingern zwischen ihren ausgebreiteten Armen und warf einen abschätzenden Blick auf Paul. Er mochte das nicht.
»Für den Anfang muss es gehen«, sagte Franzi und krauste die Stirn. Über dem Stuhl hing ein abgetragener Rock mit breitem Revers und mit aufgesetzten Flicken an den Ellenbogen. Paul kletterte in eine schwarze Hose aus breitem Cord.
»Etwas kurz, die Hose. Oder?«, fragte er Franzi und sah dabei an seinen Beinen hinunter.
»Du bist eitel, Paul«, sagte sie grinsend und gab ihm einen Klaps. Paul griff nach ihr und zog sie an sich. Sie rümpfte die Nase. »Ein Bad wäre wirklich nicht schlecht«, flüsterte sie und küsste ihn. Dann schob sie Paul eine Armlänge weit von sich und musterte ihn mit kritischem Blick.
Er kreuzte die Arme vor der Brust und zwinkerte ihr zu. »Gib es ruhig zu: Du findest, dass ich gut aussehe.«
»Ja, Paul. Eine Million Fliegen können
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