Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Aber weißt du überhaupt, mit wem du dich da einlässt? Das ist ja, als würde man einen Pakt mit dem Teufel schließen ...«
»Nun mach mal halblang. Der Teufel sitzt ja wohl woanders.« Bastian deutete in Richtung Altstadt. Alle wussten, wen er meinte.
»Haben wir eine andere Wahl? Wenn du weißt, wo dieser Otto steckt, gehen wir doch einfach hin. Und wenn Ralle ihn kennt, macht das die Sache noch einfacher.«
Einige Tage vergingen und Bastian hatte noch nichts erreicht. Da, wo er Otto vermutete, war er nicht aufzutreiben. Ralle hielt sich merkwürdig bedeckt. Otto lebte in einem Schattenreich. Einer, der keine Spuren hinterließ. Und sah man mal davon ab, dass er aus dem KZ getürmt war, hatte die Polizei nichts gegen ihn in der Hand.
Bastian suchte in den Trümmerhäusern der Altstadt, stieg in die dunklen, verlassenen Keller. Kletterte hinab in die Gewölbe am Melatenfriedhof. Dorthin, wo sich viele, die der Polizei lieber nicht über den Weg liefen, versteckten. Deserteure, Fremdarbeiter auf der Flucht, Schwarzhändler, Schieber und Zuhälter.
Eine seltsame Mischung, fand Bastian. Aber eine, die ihre Regeln hatte. Die erste hieß: Klappe halten. Bastian suchte weiter, zeigte sein Edelweißabzeichen herum, erzählte Geschichten. Er biederte sich an. Er versuchte es mit Schnaps. Otto blieb ein Phantom. Dann traf er Ralle. Der drückte ihm seinen Hut auf den Kopf und die Gitarre in die Hand. »Geh jetzt gleich in die Schönsteinstraße. Du wirst erwartet.«
Der Mann kam durch die Trümmer auf ihn zu. Groß, unglaublich mager, mit einem Raubvogelgesicht. Er gab Bastian die Hand und zog ihn in einen Kellereingang.
»Was willst du? Du machst halb Ehrenfeld nervös.« Die Stimme war leise, sanft, fast melodisch.
»Wenn du Otto bist, musst du mir helfen.«
»Wenn du Bastian bist, musst du vorsichtiger sein, und wenn du mich verarschst, bist du tot.« Otto schob Bastian tiefer in den dunklen Keller hinein.
Bastian versuchte, etwas zu erkennen, stolperte über Steine und Balken, aber die Hand schob ihn unerbittlich weiter. Dann öffnete sich eine Tür und sie betraten einen weiteren Raum, schwach erleuchtet mit Kerzen, die in Mauernischen standen. Die Fenster waren verbarrikadiert und die Luft war schlecht. Ein schmales Bett stand an der rechten Wand. Eine junge Frau lag darin. Ihre Augen waren geschlossen. An einem grob gezimmerten Tisch in der Mitte des Kellers saß ein Mann über einen Teller Suppe gebeugt. Er erhob sich nun und verließ den Keller.
»Kannst du das für uns erledigen?«, fragte Bastian erwartungsvoll. Otto nahm Ausweis und Bild in die Hände.
»Der Ausweis ist alt und abgegriffen, aber das Bild ist neu. Das ist nicht so einfach ... und dann der Stempel ...« Er zögerte eine Weile und sagte dann: »Ich denke, ich habe den richtigen Mann dafür. Das wird aber nicht billig.«
Das hatte Bastian befürchtet. »Nun ja, was meinst du ... Geld? Lebensmittelmarken? Zigaretten? Wir bezahlen. Nenne den Preis.«
»Ich denke weniger an Geld. Ich tue etwas für euch. Und ihr für mich. Ihr seid bei unserer Flugblattaktion dabei.«
Die junge Frau auf dem Bett richtete sich auf. Neugierig sah sie Bastian an. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie mit müder Stimme.
Doch Otto antwortete ihr nicht. Er behielt Bastian wachsam im Blick. »Eine Hand wäscht die andere. Kapiert?«
Teil zwei
DER TOD
BEUGT SICH
ÜBER MICH
SEIT
TAGEN
REGNETE es. Der Herbst kam früh in diesem Jahr. Der Westwind frischte auf und blies die Regenwolken über den grauen Himmel. Paul half Opa Tesch bei der Ernte. Karotten, Bohnen, Schwarzwurzeln und Äpfel gab es reichlich. Die Gartenerde klebte lehmig an den Stiefeln. Das Warten auf die Papiere setzte Paul immer mehr zu. Der Regen machte ihn mürbe und die nächtliche Kälte schlapp. Abends, wenn im würzigen Duft des verglimmenden Kartoffelfeuers das letzte Pfeifchen geraucht und Paul in seiner zugigen Bretterbude verschwunden war, wurden die Minuten zäh und lasteten wie Blei. Er hasste diese erzwungene Untätigkeit. Aber er durfte nicht ungeduldig werden. Und keinen Fehler machen. Er kroch, tief in seinen Mantel gehüllt, unter die Wolldecken, lauschte auf das Wummern der Flak und das unablässige, tiefe Brummen einfliegender feindlicher Maschinen.
Ein Hitlerjunge tauchte neuerdings immer mal wieder im Schrebergarten auf. Paul hatte ihn in der Dechenstraße nach dem Bombenangriff an Peter und Paul gesehen. Opa Tesch war nach jedem dieser Besuche wortkarg und
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