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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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machte sich klein. Opa Tesch gähnte.
    Marika Rökk jubelte in das Dunkel des Kinosaals hinein: »Überall ist Glück und Sonnenschein.«
    »Marika«, sagte Opa Tesch zu Paul, »hat Paprika statt Maggi im Blut. Und immer hübsch hoch das Bein.«
    »Ich habe Kinder auch so gern, aber mich heiratet ja keiner«, schmollte Marika.
    »Das begreife ich nicht«, sagte der Mann auf der Leinwand und sah erstaunt in die Sitzreihen. Ein flimmernder Lichtstrahl huschte über Opa Teschs Gesicht. Er war längst eingeschlafen.
    Paul mochte das Kino. Den Film weniger. Er genoss das flimmernde Halbdunkel im vollen Saal, lehnte sich genüsslich in die Polsterstühle und hing seinen Gedanken nach. Er stellte sich vor, mit Franzi hierzusitzen, ihre Hand zu halten, ihr sanft über den Arm zu streichen, ihre Nähe zu spüren ... Stattdessen hörte er Opa Tesch leise schnarchen.
    Ihm gefiel dieses Herumstreifen. Und es war zugleich seltsam: Während draußen der Krieg tobte, kroch er aus seinem Untergrundversteck und machte sich mit Opa Tesch einen vergnügten Nachmittag im Kino. Verrückt, dachte Paul. Und gleichzeitig war es so selbstverständlich, hierzusitzen. So selbstverständlich wie das Sterben und Morden im Krieg.
    Paul fühlte sich angenehm müde nach dem ausgiebigen Bad, dem Kaffee, der eigentlich keiner gewesen war, und dem Bummel durch Ehrenfeld. Doch er spürte gleichzeitig etwas wie Reue und Unbehagen. Es betraf nicht den Krieg und das Leben im Krieg. Es betraf ihn. Er war mit sich und seiner Rolle nicht ganz einverstanden. Er hatte sich eingerichtet. Halbwegs satt, ausgeruht, geborgen. Und Bastian und Hotte und all die anderen hielten ihren Kopf hin. Paul grauste es vor der Rückkehr in die Laube – und gleichzeitig, das wusste er, war es im Augenblick der einzig richtige Platz für ihn.
    Opa Tesch schaute zufrieden. »Machen wir jetzt öfter«, murmelte er und rieb sich die Augen.
    Paul betrachtete seine Ausflüge mit Opa Tesch als gute Übung für die Zukunft. Er begegnete normalen Menschen, die ganz normale Sachen taten. Und darum ging es. Deshalb war er hier. Paul wollte lernen, nicht aufzufallen. Er dehnte seine Spaziergänge aus, traute sich sogar alleine.
    Sauber und mit frischen Klamotten lenkte er seine Schritte in die Altstadt und in die Nähe des EL-DE- Hauses, der Gestapozentrale. Paul wusste, dass er mit dem Feuer spielte, und genoss das irrsinnige Gefühl, mitten unter Menschen zu sein, die ihm eigentlich nach dem Leben trachteten. Und – seltsam war es schon – nirgendwo fühlte er sich lebendiger als hier, im Treiben auf dem Appellhofplatz.
    Dann war ihm, als ob in seinen Adern nur zur Hälfte Blut floss. Die andere Hälfte war Hellhörigkeit und Wachsamkeit. An einer Hauswand hing ein Plakat: Feind hört mit. Paul grinste, ging um die Ecke, tauchte in die Menge ein, ließ sich von ihr schlucken und ruderte zwischen den Menschen umher. Ein seltsamer Nervenkitzel.
    Er beobachtete, wie Männer in Uniformen kriegsgefangene Russen und Fremdarbeiter zum Schutträumen führten, den Verkehr regelten, die Straßenbahnen lenkten, Briefe austrugen, vor dem Gerichtsgebäude Wache schoben.
    Er lernte, ihre Uniformen zu unterscheiden: Die feldgrauen waren die der Soldaten, die schwarzen die der SS, die braunen die der Parteibonzen. Dazwischen wuselte der graue Drillich des Arbeitsdienstes und die grüne Polizeiuniform. Die Briefträger trugen Blau.
    Pioniere und Männer des Reichsarbeitsdienstes flickten die geborstenen Versorgungsleitungen oder rissen umsturzgefährdete Fassaden und Giebel ein. Pferdefuhrwerke oder Handkarren schoben über das Pflaster. Wagenachsen quietschten und irgendwo schimpfte ein Kutscher. Die Stadtbahn transportierte Lebensmittel. Benzin war knapp. Fröhliche Soldaten führten lachende Mädchen aus.
    Paul gewöhnte sich auch an den Anblick der Verwundeten und Verkrüppelten. Wenn sie Uniform trugen, kamen ihm die Verletzungen vor wie die normalste Sache der Welt. Waren sie in Zivil, brachte ihn das für einen Moment durcheinander. Dann wirkten sie auf ihn, als wären sie oder er an einem falschen Ort.
    Vor dem EL-DE- Haus standen immer Autos, in denen Männer saßen, die rauchten und den Platz im Auge behielten. Sie trugen Mäntel und behielten ihre breitkrempigen Hüte auf dem Kopf: die Schlapphüte der Gestapo. Jeder konnte sehen, wer sie waren. Zwei hockten immer sprungbereit hier draußen und lauerten. Worauf, das konnte man nur ahnen.
    Es fuhren dunkelgrün lackierte Lastwagen mit einer

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