Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Menschen, die im Trubel der Bahnhofshalle an ihnen vorbeihasteten, sah Paul kaum mehr als die verfrorenen Nasenspitzen. Die Kragen waren hochgeschlagen, Mützen und Hüte tief in die Stirn gezogen. Ihm begegneten nur wenige Reisende in Zivil. Wieder ein Abschied. Bisher waren alle Menschen, von denen er Abschied genommen hatte, nicht zurückgekehrt. Es waren Trennungen für immer gewesen.
    »Bastian wird sicher nicht kommen.« Paul hielt Hotte fest am Arm und schob ihn mit sanfter Gewalt über den Vorplatz zum Eingang.
    »Nein, ich weiß. Er war gestern nach seiner Schicht noch bei mir. Der Osteinsatz macht ihn völlig kaputt. Der Werkschutz lässt ihn nicht eine Sekunde aus den Augen.« Immer wieder sah Hotte sich suchend um. »Aber was ist mit den anderen? Ich würde ihnen gerne Auf Wiedersehen sagen.« Er versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihm nicht.
    »Ach, Hotte«, sagte Paul, »du weißt doch, wie das ist. Billi ist und bleibt verschwunden. Niemand weiß etwas, nicht einmal ihre Mutter. Fatz und Freddie hab ich schon ewig nicht gesehen. Und Ralle? Der vertreibt sich die Zeit mit seinen neuen Freunden. Nur Franzi wird kommen.«
    Sie betraten die kaum beschädigte Bahnhofshalle. Das Gerüst, von dem sie die Flugblätter hatten schneien lassen, stand noch immer da. Tauben flatterten hoch oben in der Kuppel und ließen sich auf den Eisenstreben nieder.
    »Das war richtig gut«, flüsterte Paul und sie schauten beide hinauf. Durch eine geöffnete Luke in der Decke rieselte heute echter Schnee.
    »Wir machen weiter«, sagte Paul, »und irgendwann ...« Er löste eine Bahnsteigkarte. Ein gellendes Signal ertönte und rumpelnd und donnernd fuhr eine Lokomotive ein. Ihr Dampf hüllte einige Gruppen junger Männer ein, die bereits in Begleitung ihrer Mütter, der Geschwister oder Freundinnen am Gleis warteten. Zu ihren Füßen stand das Marschgepäck.
    Da erklang auf einmal eine leise Mundharmonika-Melodie aus dem Nebel: Wir saßen in Johnny’s Spelunke, bei Kartenspiel und Schnaps. Jim Baker, der alte Halunke, und Jo, der gelbe Japs.
    Ein Grinsen stahl sich auf Hottes Gesicht.
    »Hast du wirklich geglaubt, wir lassen dich ohne Lebewohl in den Krieg ziehen?« Franzi löste sich aus dem Dunst und umarmte Hotte.
    Bis auf Bastian und Billi waren alle gekommen. Fatz und Freddie klopften Hotte auf die Schulter. »Pass ja auf dich auf, Hotte! Lass dich nicht erwischen!«
    Ralle spielte noch einen schrägen Akkord auf der Mundharmonika, klopfte sie dann auf seinem Handrücken aus und reichte sie Hotte. »Nimm sie mit und spiel ab und zu unsere Lieder«, sagte er, »dann vergisst du uns nicht. Wir tun hier für dich, was wir können.«
    »Bevor wir gleich alle losheulen, lasst uns lieber noch einen schmettern«, rief Paul. Es waren Franzis Tränen, die er nicht ertrug. Und er begann die nächste Strophe von Johnny’s Spelunke: Sie erzählten von Himmel und Hölle und von der Heimat Schoß ..., dass alle auf dem Gleis Wartenden mit einstimmten, egal ob Edelweißpiraten oder nicht.
    Schon längst hatten sie die volle Aufmerksamkeit der Feldgendarmerie, die im Bahnhof patrouillierte und aus der Entfernung zu ihnen herüberschaute. Ralle stieß Paul mit dem Ellenbogen in die Seite. »Sieh mal, wer sich da unter die Grauen gemischt hat.« Und er deutete mit dem Kopf auf das gegenüberliegende Gleis.
    »Wenn das nicht unser Freund Karlu ist? Wirklich rührend, wie der an uns hängt.«
    »Der will wahrscheinlich ganz sichergehen, dass ich in den Zug einsteige«, sagte Hotte, hob die Hand und winkte Karlu zu.
    Der Schaffner unterbrach den Gesang. »Los, Leute, hinein in den Zug! Der fährt sonst ohne euch ab.« Gedrängel entstand vor den Türen und Hotte verschwand kurz aus Pauls Blickfeld. Dann tauchte er an einem der geöffneten Zugfenster wieder auf, winkend, während der Zug sich schon in Bewegung setzte und langsam den Bahnhof verließ.
    »Erst Zack, dann Billi. Meine Mutter und jetzt auch noch Hotte.« Franzi weinte nicht mehr, aber Paul ahnte ihren Kummer. »Lass du mich nicht auch noch allein.«
    Er hätte ihr gerne gesagt, dass Hotte wiederkommen würde, ganz sicher sogar. Das hatte er im Gefühl. Aber er schwieg und nahm Franzi einfach in den Arm.
    Auf dem Nachbargleis fuhr ein Lazarettzug ein und die Feldgendarmerie und auch Freund Karlu konnten sie daher nicht mehr beobachten.
    »Los, lasst uns abhauen«, rief Ralle gegen den Lärm der quietschenden Bremsen. »Wenn wir uns trennen und vor ihnen draußen sind, hängen

Weitere Kostenlose Bücher