Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
ihn alles. Für mich, seinen Sohn, wollte er nur das Beste. Ich sollte wie er dem Führer dienen.«
Er holte Luft, als fiele es ihm schwer, weiterzusprechen. »Zur Napola konnte ich nach den drei Tagen nicht mehr. Ich wurde ein mir bis dahin unbekanntes Zittern nicht los. Ich höre auch nicht mehr gut. Nachts habe ich ins Bett gemacht. Manchmal wache ich noch heute schweißgebadet und schreiend auf. Albträume und diese irren Kopfschmerzen.«
Er fuhr sich über den Kopf, atmete tief ein und sagte mit dem Brustton der Überzeugung: »Nein, ich bin kein Feigling. Kein Drückeberger. Ich dachte, das wird wieder. Nur ein paar Stunden, Tage, Wochen ... Dann bin ich wieder der Alte. Ja«, er lächelte in sich hinein, »und dann habe ich dieses Mädchen kennengelernt. Die hat nicht gefragt, wer ich bin und woher ich komme. Und der alte Mann im Schrebergarten. Die haben sich um mich gekümmert. Ich war nämlich ziemlich durch den Wind. Und langsam, langsam baute ich mit ihrer Hilfe wieder Teile meiner Welt auf ...«
Ziegen hörte ihm aufmerksam zu. Paul hatte sich alle Mühe gegeben. Tat zerknirscht, machte Pausen. Wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und der war echt. Wie das Ziehen in der Magengegend, das Zittern seiner Hände.
Er wusste einiges über Ziegen. Seine Härte, seine Grausamkeit, das kannte er aus den Erzählungen. Jetzt erlebte auch er, dass der Mann etwas Unerbittliches hatte. Er bekam Angst. Sie überfiel ihn aus dem Hinterhalt. Und er musste dabei akribisch aufpassen, was er erzählte. Und dass das Zittern nicht zu stark würde.
Wenn Ziegen Frau Osmann auch so befragt hatte? Paul mochte nicht daran denken. Er riss sich zusammen. Er war Peter König.
»Na ja, Peter. Du siehst ja immer noch fertig aus. Das ist unverkennbar. Und jetzt bist du in dieser Gärtnerei angestellt?«
»Ja. Ich habe mich bei den Ämtern angemeldet. Klar hatte ich Schiss, dass Vater und Mutter mir auf die Schliche kommen. Und dann in einem solchen Zustand. Ich habe mich geschämt. Was sollte ich machen? Abwarten, dachte ich ... Und dann habe ich von ihrem Tod erfahren.« Paul zog schniefend die Nase hoch und wischte sich über die Augen.
»Gut, Peter. Dann komm doch mal mit. Wir machen eine Gegenüberstellung und dann sehen wir weiter.«
Jetzt kam es. Jetzt kommt die Probe. Paul ging hinter Ziegen her, auf der Treppe ließ er Paul den Vortritt.
Im Wachlokal neben der Pförtnerloge unter der metallenen Uhr saß eine ältere Frau. Sie trug ein gelbes Halstuch und hielt eine braune Handtasche auf den Knien mit beiden Händen umklammert. So hatte Frau Osmann es mit Franzi vereinbart: gelbes Tuch, braune Tasche.
Paul wusste, die nächsten Sekunden würden über sein Leben entscheiden. Und, ohne zu zögern, lief er auf die Frau zu. »Martha? Tante Martha.«
Die Frau sah ihn an, ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, sie erhob sich, sagte »Peter«, umarmte ihn und drückte ihn an sich.
»Ich dachte, du ... alle wären umgekommen.«
»Ja, Peter. Alle sind tot. Ach, Junge, es war so schrecklich.« Frau Osmann weinte echte Tränen und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. »Umso schöner ist es, dich zu sehen«, rief sie immer wieder.
»Tante Martha, du musst unbedingt mit mir zur Gärtnerei kommen, mir von Mama und Papa erzählen. Du musst Frau Rose kennenlernen und Franzi ...«
»Das würde ich gern. Aber ich bin auf der Durchreise, auf dem Weg zu meinem Bruder. In Oberhausen hält mich ja nichts mehr. Und du?« Sie rückte ihn ein Stück von sich ab, betrachtete ihn. »Du bist erwachsen geworden, mein Junge, du brauchst mich nun nicht mehr.«
»Sag das nicht, Tante Martha. Sag das nicht.« Mittlerweile liefen auch Paul Tränen über die Wangen. Freude und Erleichterung.
Frau Osmann war ein guter Mensch. Franzi hatte sich nicht geirrt.
Paul sah jetzt wieder zu Ziegen. Der beobachtete die Szene zwar mit gespielter Gleichgültigkeit ... Aber als Frau Osmann mit Paul das EL-DE- Haus verlassen wollte, kam Leben in den Oberkommissar. Er hielt Paul mit festem Griff zurück.
»Aber ich will doch nur Tante Martha begleiten ...«, stotterte Paul.
»Keine Sorge, ein Fahrer bringt Frau Osmann zum Bahnhof.« Ziegen schnippte mit dem Finger und winkte einen der Uniformierten zu sich.
Während er ihm Befehl erteilte, nahm Paul Frau Osmann noch einmal fest in den Arm und flüsterte ihr »Tausend Dank!« ins Ohr. Laut sagte er: »Melde dich, wenn du bei deinem Bruder bist. Ich werde dich bald besuchen, Tante Martha. Das verspreche
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