Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
der Familie König, erfahren hatte.
»Peter Königs Vater war Kunstsachverständiger, ein hohes Tier in der Partei. Ein richtiges Zigeunerleben hatten sie. Lebten in Prag, Krakau, Warschau, Amsterdam, Brügge. Und Paris. Der muss ein ganzes Museum für den Führer zusammengeklaut haben. Frau König wollte nicht, dass Peter in einem Internat groß würde, deshalb ist sie immer mitgereist. Die Mutter hat ihn unterrichtet, aber Frau Osmann hat ihn großgezogen. Sie sei ihm näher gewesen als die Mutter, meinte sie. Vor Kurzem wollte der Vater dann, dass sein Sohn nach Bensberg geht. Dorthin, wo die Elite für den Führer großgezogen wird.«
»Mein Vater ist also eine Nazi-Größe und ich sollte jetzt eigentlich in Bensberg auf der Napola sein? Was ist aus mir denn für ein Idiot geworden?«
»Dein Vater war eine Nazi-Größe. Deine Familie ist nämlich tot. Eine Tragödie sondergleichen. Es fand gerade eine Familienfeier statt, als eine Luftmine das Haus traf. Sie flog durch das Dach, durchschlug alle Stockwerke und explodierte im Untergeschoss. Sie hatten keine Chance. Sie saßen alle im Keller. Nur Peter nicht.«
»Alle tot? So viel Glück können wir doch gar nicht haben! Also kann mich auch niemand wiedererkennen? Keine Tanten? Kein Onkel? Keine Geschwister?«
»Die Haushälterin, Frau Osmann, kann es. Die lag nämlich während des Bombenangriffs im Krankenhaus. Sie ist krank. Sehr krank. Sie hatte schon Besuch von der Gestapo aus Essen. Und rate mal, warum? Die wollten, dass sie nach Köln reist, um dich zu identifizieren.«
»Verdammt.« Ein Schreck kroch Paul den Nacken hoch.
Franzi nahm ihn in den Arm. »Sie wird uns helfen, Paul«, sagte sie mit fester Stimme. »Sie hat es versprochen. Sie wird nach Köln kommen, aber erst in drei oder vier Wochen. Wegen ihrer Krankheit.«
»Warum sollte sie das tun? Denk doch mal nach, Franzi. Warum sollte sie einen dreckigen Halbjuden decken, der sich obendrein die Papiere ihres geliebten, toten Peter angeeignet hat?«
»Genau deshalb. Weil du ein dreckiger Halbjude bist. Frau Osmann war mit der Familie König ständig auf Reisen im Ausland. Die hatte keine Ahnung, was hier im Namen von Volk und Vaterland alles passiert. Du kannst das glauben oder auch nicht. Ich habe ihr von den Judentransporten in den Osten erzählt. Von den Fremdarbeitern, die zwölf Stunden am Tag malochen und sich ihr Essen aus Mülltonnen zusammensuchen müssen. Weil diese armen Teufel nur Wassersuppe bekommen. Von Kindern, die im EL-DE- Haus verprügelt werden, weil ihre Eltern keine Nazis sind. Oder weil sie selbst einfach nicht mitmachen wollen. Sie war ehrlich erschrocken.«
Franzi nahm seine Hände. Sie waren wie ihre rau und schwielig vom Arbeiten in der Gärtnerei. »Ich habe ihr auch von uns erzählt. Davon, dass sie uns unsere Fahrten und Lieder nehmen. Und auch unser Leben, wenn wir nicht mitmachen bei der ganzen Hetze. Ich glaube, das hat sie erschüttert und überzeugt.«
»Trotzdem. Sie kann mich ans Messer liefern. Wir haben keine Sicherheit.«
»Nein«, seufzte Franzi, »Sicherheit haben wir nicht. Nur die Hoffnung, dass sie ein guter Mensch ist.«
HERR
OBERSTAATSANWALT
DR. BLÖMER, was wollen Sie wirklich? Sie beklagen unseren mangelhaften Fortschritt in der Sache Bekämpfung der Jugendcliquen und fordern gleichzeitig einen sanfteren Umgang mit dieser Bande.«
»Herr Oberkommissar, Sie wollen mich nicht verstehen. Deshalb darf ich auszugsweise zitieren. Und zwar aus dem Reichsbefehl der Reichsjugendführung der NSDAP 29/42 K vom 23.11.1942.«
Dieser Paragrafenreiter fing an, ihm auf die Nerven zu gehen. Ziegen fuhr herum. So blitzschnell, dass der Oberstaatsanwalt zusammenzuckte.
»Nein, dürfen Sie nicht, Herr Dr. Blömer. Einer unserer fähigsten Beamten im EL-DE- Haus, Föls, wurde da draußen auf der Straße überfallen und von diesem kriminellen Gesindel fast zu Tode geprügelt. Sie lassen am helllichten Tag Flugblätter durch den Bahnhof schweben. Mit Wehrertüchtigungslagern kommen wir denen nicht mehr bei. Da lachen die doch drüber. Wir sind hier bei der Gestapo und nicht bei der Heilsarmee. Da interessiert mich überhaupt nicht, was der Reichsjugendführer zu erzählen hat.«
Der Oberstaatsanwalt sah Ziegen direkt an und sagte: »Und trotzdem bringen Sie mir nichts Gerichtsverwertbares.«
»Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Wenn ich mit denen fertig bin, landen die vor dem Volksgerichtshof. Oder wir machen hier kurzen Prozess.«
»In der Sache
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