Wir toeten nicht jeden
ganz bestimmt was laufen wird, wenn du die ganze Zeit so über den Campingplatz spazierst«, sagt sie mit einem anzüglichen Lachen, während sie hinunter auf mein Handtuch blickt.
Flirtet Leticia etwa mit mir? Ausgerechnet mit mir?
Da hören wir auf einmal Kindergeschrei, und zwei Sekunden später macht Leti eine Vollbremsung einen halben Meter vor uns, sodass Antoñito gegen ihren Rücken knallt. Mit einem väterlichen Lächeln drehe ich mich zu den beiden um – und blicke in die blauen, strahlenden Augen der Animateurin.
Aufgeregt erzählt Antoñito irgendwas von einem Wettbewerb, den er zweimal gewonnen hat, und dass ich Yolanda fragen soll, wenn ich ihm nicht glaube, worauf die Animateurin lächelnd bestätigt, dass er gesiegt hat, mich dabei aber die ganze Zeit ansieht. Diese Freikörperkultur macht mir echt zu schaffen, dabei kann ich es mir nicht leisten, in so einem Moment die Konzentration zu verlieren. Aber sie sieht mich unentwegt an.
Leti, die einen feinen sozialen Instinkt besitzt, den sie von ihrer Mutter geerbt hat, hat sie vermutlich über die Situation aufgeklärt, weshalb Yolanda nun sagt, sie würde gern kurz mit mir sprechen, worauf ich wie ein Roboter nicke, während Leticias Augen beleidigt funkeln, weil eine andere Frau sich dem Loser nähert, den sie in die Wüste geschickt hat.
Schweigend gehen wir ein paar Schritte, und zum ersten Mal seit Beginn dieser Reise werde ich ruhig. Ich atme tief ein und sehe sie dann an – und schon ist es wieder vorbei mit meiner Ruhe. Zum Teil jedenfalls.
Zu einem beträchtlichen Teil. Sie bemerkt es ebenfalls und lacht.
»Keine Sorge, am Anfang geht es allen so. Aber du wirst sehen, nach ein paar Tagen ist dir egal, wie man hier rumläuft.«
»Nicht, wenn ich dich sehe«, erwidere ich.
Moment mal! Nicht ich habe das geantwortet, sondern Nummer Drei! Das ist seine Stimme, sein Lächeln und sogar sein Gang.
Sie sieht mich interessiert an und schlägt dann die Augen nieder.
»Ich hoffe, ich bin dir damit nicht zu nahegetreten«, sage ich, in meiner Stimme liegt jedoch keinerlei Bedauern.
»Nein, nein«, entgegnet sie, wechselt dann aber schnell das Thema. »Hör mal, deine Tochter hat mir von dem Zufall erzählt. Wenn du willst, kann ich euch eine andere Parzelle besorgen.«
»Nicht nötig, wir sind zivilisierte Menschen … auch wenn ich nicht so wirke.«
Laut prustet sie los und biegt dann in einen schmalen Pfad ein, der sich einen Felsen hinaufwindet.
»Seid ihr schon lange getrennt?«
»Zwei Jahre. Die Welt geht davon aber nicht unter …«
»Wem sagst du das?«, seufzt sie und sieht mich dann an. »Heute Abend steigt hier übrigens eine Party, zur Eröffnung der Saison.«
»In Gala muss man sich aber sicher nicht werfen, oder? Ich habe in Madrid nämlich meine Fliege vergessen …«
Noch ein Lacher. Beim dritten garantiere ich für nichts mehr.
»Zerbrich dir darüber nicht so den Kopf. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Je eher du dich ausziehst, desto eher vergisst du, dass du nackt bist. Es sei denn, du willst einen ganzen Monat lang mit dem Handtuch um die Hüfte rumlaufen …«
Sie weiß, wie lange wir bleiben. Gehört das zu ihrem Job? Oder beweist es ihr Interesse an mir? Was aber noch viel komischer ist: Warum hat die FIRMA die Parzelle für einen ganzen Monat reserviert, genau die Dauer meines Urlaubs? Seit wann haben sie das alles schon geplant?
Yolandas Nähe hindert mich daran, einen klaren Gedanken zu fassen.
Im Grunde will ich das auch nicht.
»Wie ich sehe, befolgst du deine eigenen Ratschläge nicht«, sage ich und deute auf ihre knappe Bekleidung: kurze Shorts und ein Trägerhemdchen, unter dem ihre Brüste elegant auf und ab hüpfen.
»Das liegt an der Platzordnung«, entgegnet sie schulterzuckend. »Die Gäste dürfen überall nackt rumlaufen, bis aufs Restaurant, die Cafeteria und den Supermarkt. Das Personal muss aber immer angezogen sein, außer bei einigen Aktivitäten.«
Unterdessen sind wir an einer kleinen Bucht mit tiefblauem Wasser angelangt. Yolanda entledigt sich mit zwei Handgriffen ihres Tops und der Shorts. Darunter trägt sie nichts.
»Und was ist mit der Platzordnung?«
»Ich habe heute frei. Kommst du?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, rennt sie auf die Wellen zu, und ich folge ihr.
Im Laufen werfe ich mein Handtuch weg, so, als wäre es auf einmal eine Last.
Keine Ahnung, wie lange wir lachend im Meer herumgetollt haben, die Wellen über uns zusammengeschlagen sind und wir uns von ihnen
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