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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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überlege ich mir, ob ich mich nicht zur Ruhe setzen und das Leben in vollen Zügen genießen sollte, weißt du? Aber alles hat seine Grenzen. Ich habe mich jedenfalls geweigert, die Pflegeheime zu verkaufen. Wer weiß, wie diese undurchsichtigen Typen die armen Alten behandeln würden …«
    Mein Freund sorgt sich also nach wie vor noch um die Bedürfnisse der alten Leute, und da er ihnen bei der Darmentleerung nicht behilflich sein konnte, hat er von seinem Vermögen eine Kette von Vorzeige-Pflegeheimen bauen lassen.
    »Mit dieser kategorischen Weigerung fing alles an, Juan. Ich bekomme anonyme Anrufe, und ich hatte ein paar Unfälle, die auch gut Anschläge gewesen sein können. Ja sie haben mir sogar offen gedroht, mich umzubringen, sollte ich nicht unterschreiben.«
    Ich frage ihn nach der Frist, die sie ihm gesetzt haben.
    »Die ist abgelaufen«, erwidert er niedergeschlagen. Doch dann hebt er plötzlich den Kopf und sieht mich mit glänzenden Augen an. »Aber ich bin und bleibe ein Pirat und werde mich nicht ergeben, auch wenn ich nur noch ein Bein und ein Auge habe!«
    »Töten, mein Junge, darum geht’s. Für gutes Geld beförderst du ein paar Dreckskerle ins Jenseits. Ich nenn’s dem Krebs die Arbeit abnehmen; die meisten sind nämlich Raucher und würden es sowieso nicht mehr lange machen.«
    Die frühere Nummer Drei hatte die Maske des aufschneiderischen Nachtschwärmers fallen lassen, und seine Bewegungen waren nun nicht mehr länger ungelenk. Seine Worte hatten indes noch denselben kumpelhaften Ton wie in den Stunden zuvor.
    »Töten. Sprich’s ruhig aus. Je öfter du das Wort wiederholst, desto bedeutungsloser wird es für dich, bis es sich irgendwann wie ›essen‹ oder ›scheißen‹ anhört. Der Tod ist ein ganz normaler physiologischer Vorgang. Wir sorgen nur dafür, dass er eintritt, solange er noch jemandem nützt, und nicht erst, wenn es allen schon scheißegal ist, verstehst du? Du bringst die richtigen Fähigkeiten für diesen Job mit. Du bist kaltblütig und ein begnadeter Schütze. Und du ziehst dabei kein Gesicht wie ein Revolverheld in einem Italowestern. Dir ist es egal, ob du dabei eine gute Figur machst. Du schießt, wie andere pissen; ich beobachte dich seit Monaten, und dir ist noch nie auch nur ein einziger Tropfen danebengegangen. Also, was sagst du zu dem Job?«
    Ich nickte und schlug ein.
    In gewisser Weise war es für mich nur logisch. Es löste mein Problem: Ich konnte wieder ganz ich selbst sein, doch niemand würde es erfahren, denn nach außen hin konnte ich die graue Maus bleiben, die ich spielte, um niemandem mehr weh zu tun. So, als wäre ich ein Pirat: Ich würde den Feind anvisieren, ihn unter Beschuss nehmen und versenken. Und dann würde ich wieder auf meine Insel zurückkehren.
    Ja, ich schlug ein.
    Danach erzählte er mir ein bisschen von der FIRMA, wenn auch nur in Andeutungen. Mal glaubte ich schon, dass die Regierung ihre Finger im Spiel hatte, was er aber sofort mit einem lauten Lachen bestritt, weshalb ich im Laufe der Nacht zu der Überzeugung gelangte, dass nicht einmal er viel über die Hintermänner wusste.
    Zunächst schickte man mich ins Ausland, wo einsilbige Männer mich in abgeschiedenen Gegenden trainierten, die nur dann ein wenig menschlich wurden, wenn sie mich schießen sahen. Und Nummer Drei brachte mir seine sämtlichen Tricks bei. Ich sei ihm direkt unterstellt, denn er sei der beste Killer der FIRMA, hatte er mir in jener entscheidenden Nacht erklärt, und ich solle alles dransetzen, um mindestens so gut, wenn nicht gar noch besser zu werden, damit er eines Tages seine Pistole beruhigt an den Nagel hängen könne.
    Leticia seufzte bloß, wenn ich wieder einmal von einer Vertreterreise zu diversen Provinzkrankenhäusern oder einer mehrtägigen Tagung in Paris zurückkam.
    »Wieso beraumt man eigentlich für Klopapierverkäufer aus ganz Europa eine Konferenz an? Um herauszufinden, in welchem Land mehr verbraucht wird?«, fragte sie mich einmal, und ich wollte schon eine der Ausflüchte anbringen, die ich mir während meiner Ausbildung eingeprägt hatte, als ich begriff, dass sie mich nur verspottete.
    Nicht einmal die beträchtliche Lohnerhöhung ließ sie stutzen. Wir zogen in ein größeres Haus, kauften ein neues Auto – keine Reaktion. Offenbar scheißen die Leute neuerdings mehr , war der einzige Kommentar, den ich sie einmal verächtlich zu einer Freundin sagen hörte. Sie hätte mich jedoch sicher genauso gehasst, wenn ich ein

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