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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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ungewöhnliche Flüche für eine Programmiererin waren. Dann die drei Monate: Ein durchaus annehmbarer Zeitraum. Ich selbst bin schon mal zwanzig Wochen vorher für einen Auftrag eingeschleust worden, und die frühere Nummer Drei hat mir erzählt, dass er einmal fast ein Jahr lang in einer idiotischen Verkleidung einen Auftrag vorbereitet hat, der am Ende abgesagt wurde . Ein weiterer Punkt, der zu bedenken ist, ist die Geschicklichkeit, mit der sie meinen Handkantenschlag abgewehrt hat. Das kann Zufall sein, was ich aber nicht glaube. Denn auch die Schnelligkeit, mit der sie die Situation wieder im Griff hatte, spricht für ein Training der FIRMA …
    »Kommst du, Juan?«
    Ganz in meine Gedanken versunken habe ich nicht gemerkt, dass Tony inzwischen draußen alles hergerichtet hat, damit wir uns bequem unterhalten können, und ich staune über die Leckerbissen, die er aus dem Kühlschrank gezaubert hat. Ich habe mehr Hunger, als ich dachte. Und mehr Durst.
    »Trotzdem vielen Dank, Juan«, sagt er nun und prostet mir mit einem neuen eisgekühlten Bier zu. »Wenn ich doch nur dasselbe einmal für dich tun könnte …«
    »Was? In einen Sado-Maso-Fick reinplatzen?«
    »Nein, ich meine, dich aus einer bedrohlichen Situation retten. Falls Sofía mich wirklich hätte erwürgen wollen.«
    »Das ist ja nicht der Fall gewesen …«
    »Nein, ist es nicht. Aber glaub bloß nicht, ich hätte ihr anfangs nicht misstraut. Und diese Zweifel waren ziemlich lästig, denn man sollte sich nicht in jemanden verlieben, dem man nicht rückhaltlos vertraut.«
    »Wem sagst du das!«, erwidere ich wie aus der Pistole geschossen.
    Tony wirkt ruhig, entspannt, fast glücklich. Etwas hat sich seit gestern verändert, doch ich habe keine Ahnung, was.
    Er bemerkt meine Verwunderung und lächelt.
    »Es ist alles wieder in Ordnung, Juan. Heute Morgen hat mein Kompagnon angerufen. Wenn ich wieder in Madrid bin, verkauft er mir seinen Anteil. Zu einem vernünftigen Preis.«
    »Und was ist mit seinen Drohungen? Und deinen Autounfällen?«
    »Er hat sich dafür entschuldigt; er habe leider ein großes Maul, und sein Temperament sei mit ihm durchgegangen. Und das mit den gescheiterten Anschlägen auf mein Leben habe ich mir vielleicht nur eingebildet.« Tony zuckt die Schultern und strahlt dann übers ganze Gesicht. »Aber nicht allein deswegen bin ich so glücklich, Juan. Ist dir klar, dass ich jetzt keinen Grund mehr habe, an Sofía zu zweifeln?«
    Ich verkneife mir die Bemerkung, dass er jetzt womöglich noch mehr Gründe hat als vorher. Der Kompagnon hat noch nichts unterschrieben, und bis Tony wieder in Madrid ist, kann viel passieren. Falls er Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatte, wird er jetzt leichtsinnig werden und so eine leichtere Zielscheibe sein. Zudem beunruhigt mich die Sache mit den gescheiterten Anschlägen. Wir scheitern nicht. Wir jagen unseren »Kunden« auch keinen Schrecken ein. Wir bringen sie einfach um.
    All das kann ich meinem alten Freund jedoch nicht erzählen, dem ich nun versprechen muss, sein Trauzeuge zu sein, wenn Sofía seinen Heiratsantrag annimmt. Sobald er mit seinem Kompagnon im Reinen ist, will er sich mit ihr verloben. Vorher will er jedoch noch ein großes Essen organisieren, mit deiner ganzen Sippschaft. Denn er weiß von Yolanda. Und dass ich mit den Kindern hier bin. Und dass meine Ex mit dem Richter neben uns zeltet. Und er weiß auch, dass sie die Vorbesitzerin seines Wagens ist.
    »Sofía hat deine Frau gestern auf der Party wiedererkannt. Ist das nicht irre, Juan? Und da heißt es immer, die Welt wäre so groß …«
    Ich gebe ihm recht. Die Welt ist wirklich klein. Wenn nicht sogar zu klein.
    Und sie ist zudem voller seltsamer Zufälle.
    Resümee der beiden letzten Stunden: vier vergebliche Versuche, die Lage zu überdenken, fünf ebenso vergebliche Anrufe bei der FIRMA, sechs Anfälle von Argwohn in Bezug auf Yolanda und sieben Erektionen.
    Und mir steht ein Vater-Sohn-Gespräch bevor, das für einen Moment alle anderen Sorgen verdrängt.
    Als ich zu unseren Zelten zurückkehre, sitzt Antoñito allein am Wegrand.
    Verdutzt stelle ich fest, dass er sein Nintendo nicht in der Hand hat, mit dem man ihn sonst immer und überall antrifft. Er scheint über etwas nachzudenken, einfach so.
    Was mich aber am meisten wundert, ist, dass Antoñito sich über eine mütterliche Anweisung hinweggesetzt hat. Alle Camper scheinen sich an den von Leticia ausgegebenen Mittagsruhe-Befehl zu halten. Alle – bis auf mich

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