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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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er zu sagen, wenn ich mich wieder einmal über Nummer Dreizehn beklagte. »Man muss nur herausfinden, welcher Typ Mörder man ist. Da gibt es zum einen die Künstler, so wie du einer werden könntest und ich einer wäre, wenn ich Bock darauf hätte, und zum anderen solch gierige Bluthunde wie Nummer Dreizehn. Letztere sind für die FIRMA nützlicher Ballast. Warum, glaubst du, wird er in größeren Missionen eingesetzt, vor allem bei den ganz heiklen? Weil er, wenn etwas schiefgeht, der ideale Sündenbock ist. Er ist der Prototyp eines Schlägers, der jemandem für ein paar Kröten den Arm bricht und für ein paar Scheine mehr um die Ecke bringt. Außerdem macht er seine Sache gut. Allerdings glaubt er, es käme nur drauf an, genügend Mumm in den Eiern zu haben. Wenn er sich da mal nicht täuscht. In unserem Job braucht man nämlich vornehmlich seinen Kopf, dann die Fäuste, und erst wenn alles nichts mehr nützt, den Schneid. Anders geht es nicht.«
    »Ich weiß nicht …«
    »Was ist los, Junge, hast du Angst, irgendwann so zu werden wie er?«
    »Angst nicht. Aber manchmal glaube ich doch, dass ein Job wie unserer einen unweigerlich verändert …«
    Da legte mir die damalige Nummer Drei seine Pranke auf die Schulter und sah mich ernst an.
    »Jetzt hör mir mal gut zu, mein Junge, denn das ist die wichtigste Lektion überhaupt: Mutter Natur ist zwar weise, aber zaubern kann sie nicht. Eine Raupe kann sich in einen Schmetterling verwandeln, doch ein Arschloch bleibt immer ein Arschloch.«
    Ich hätte ihn damals gern gefragt, ob er damit Nummer Dreizehn meinte oder uns beide. Ich habe es nicht getan. Aber eines weiß ich, auch ohne ihn zu fragen, genau: Dass er sich nicht gern von Nummer Dreizehn hätte umbringen lassen. Denn Nummer Dreizehn hätte bei diesem Auftrag Lust verspürt. Große Lust.
    Heiße Wut steigt in mir auf, während ich zusehe, wie er sich oben auf dem Sprungbrett in Szene setzt. Er würde, ohne zu zögern, meine Frau und meine Kinder umbringen, wahrscheinlich sogar umsonst. Seinen kaum verhohlenen Hass auf die frühere Nummer Drei hat er nämlich auf dessen Nachfolger übertragen. Das wissen wir beide. Plötzlich durchfährt mich ein Schreck, als mir klar wird, dass Beltrán fort ist, Nummer Dreizehn aber noch immer auf dem Campingplatz.
    Weil die Operation wirklich verschoben wurde und er auf weitere Anweisungen wartet?
    Oder weil die Zielscheibe gar nicht der Richter ist, sondern ich?
    Zum Glück weiß er nichts von mir und Yolanda. Ich werde Vorkehrungen treffen müssen, damit das auch so bleibt.
    »Ganz schön scharf, deine Braut«, sagt Nummer Dreizehn, als er neben mir aus dem Wasser steigt. »Weißt du, hier, wo alle nackt rumlaufen, macht mich so eine Klassefrau in Kleidern nur noch mehr an …«
    Er springt wieder ins Wasser, ehe ich etwas erwidern, ihm drohen oder ihn gar fragen kann, was zum Teufel er hier treibt.
    Und das ist auch besser so, denn ich darf keine Schwäche zeigen.
    Yolanda ist mein schwacher Punkt.
    Genau wie die Kinder.
    Und meine Ex.
    Und Tony.
    Tony! Herrje, mein alter Freund wartet schon seit Stunden auf mich. Ich muss sofort zur Bucht.
    Aber vorher klettere ich noch aufs Sprungbrett. Oben hole ich tief Luft – und springe mit einem Köpfer ins Wasser.
    Denn auf einmal fühle ich mich ganz leicht.
    Ich habe eine Entscheidung getroffen.
    Wenn ich in vierundzwanzig Stunden nicht weiß, was hier gespielt wird, werde ich Nummer Dreizehn töten. Und zwar ganz umsonst.
     

15
     
    Tony ist nicht in der Bucht. Und auch nicht in der Cafeteria. Er wird das Warten leid gewesen sein und denken, dass ich mich mit Yolanda irgendwohin verkrümelt habe, wo wir ungestört sind. Während ich mich seinem Stellplatz nähere, deutet nichts darauf hin, dass er in seinem Wohnwagen zu finden ist.
    Obwohl, stopp … es gibt doch Anzeichen von Leben.
    Ein leichtes, aber deutliches Schaukeln des Gefährts warnt mich davor, hier einen Fauxpas zu begehen. Tony und Sofía nutzen wohl die allgemeine Mittagsruhe für ein Schäferstündchen. Ich könnte mich also da drüben an den Baum lehnen und eine Zigarette rauchen, bis sie fertig sind. Oder einfach später wiederkommen.
    Warum bleibe ich dann trotzdem wie angewurzelt stehen, nur zwei Schritte vom Wohnwagen entfernt, wie ein Jäger auf der Pirsch?
    Weil es drinnen vollkommen still ist. Zwar ist die Tür geschlossen und die Vorhänge sind zugezogen, die Fenster sind jedoch offen – und kein Stöhnen, nicht einmal ein Seufzer ist zu

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