Wir toeten nicht jeden
sicher wäre wie mein kleiner Sohn.
16
Ohne Yolanda wird es eine lange Nacht werden, aber ich bin fast froh darüber, denn so bleibt mir viel Zeit zum Nachdenken.
Bei unserer Ausbildung brachte man uns auch bei, wie man mit sich zurate geht, während man etwas ganz anderes tut; weder die Bewegung der Augen noch sonst was sollte den bevorstehenden Coup verraten, noch, wem er gilt. Derweil ich also die Rolle des wiedergefundenen Vaters spiele – ich tolle mit den Kindern im Wasser herum, sammele in der Bucht Muscheln und hätschele sogar mein Ego, indem ich zu Letis Verblüffung und Antonios Stolz meine Botanikkenntnisse zum Besten gebe –, hänge ich meinen Gedanken nach. Erwäge, was ich tun muss.
Über solchen Überlegungen bricht die Dämmerung herein mit den üblichen Ritualen. Leti geht duschen, ohne auf ihre Mutter zu warten, die viel zu lange geschlafen hat, als dass man das noch als Siesta bezeichnen könnte. Antonio kommt mit mir. Jeder Blick von ihm sucht Anzeichen dafür, ob das, worüber wir in der Höhle gesprochen haben, nur ein Traum war oder sich gerade wirklich etwas in unserer Beziehung verändert. Ja, der schüchterne kleine Kerl nimmt die Sache sogar selbst in die Hand: Während wir uns nebeneinander einseifen, erzählt er mir eifrig Witze und schmettert lachend im Duett mit mir ein altes Seeräuberlied, das ich längst vergessen zu haben glaubte. Er genießt die Kameradschaft zwischen Vater und Sohn, diese männliche, zugegebenermaßen dämliche Komödie, die ein Mann nur geringschätzt, wenn er sie als Kind erlebt hat. Weshalb ich sie ebenfalls genieße.
Dass unter den Campern viele Urlauber aus aller Herren Länder sind, zeigt sich an den rasch immer weniger werdenden Männern im Waschraum. Die Ausländer machen sich stets als Erste fürs Restaurant zurecht, während wir Spanier den Strand und das Meer bis zum letzten Sonnenstrahl auskosten. Bald verstummt der unsichere Smalltalk zwischen all den Männern, die im Freien unbekümmert nackt herumlaufen, unter den Duschen aber jeden Zweifel an ihrer Männlichkeit abwehren müssen.
Schließlich sind wir allein, Antonio, ich und der Wasserdampf, der die Spiegel beschlägt. Mein sonst so stiller Sohn trägt an diesem Abend allerdings sein Herz auf der Zunge.
»Weißt du, dass ich heute Nacht geträumt habe, du wärst Geheimagent?«, sagt er beiläufig, während wir uns abtrocknen.
»Wow, das ist ja toll, Antonio! Ich wäre in deinen Träumen zwar lieber Pirat, aber …«
»Nein, wirklich, du warst Spion. Und das hab ich schon oft geträumt.«
Ich entgegne nichts darauf, aber er lässt nicht locker.
»Und du träumst auch so was, Papa.«
Etwas in seiner Miene hindert mich daran, das Thema mit einem Scherz abzutun.
»Nur ab und zu, vor allem, seit du und Mama … Wenn wir bei dir übernachten, bin ich nachts schon ein paarmal aufgewacht, weil ich Durst hatte. Und da hab ich dich manchmal im Schlaf reden hören. Einmal hab ich an deiner Tür gelauscht. Du hast irgendwas von Nummern erzählt …«
»Von Nummern?«
»Ja, aber so, als wären es Menschen. Und dann hast du noch was von einer gefährlichen Mission und Waffen gebrummelt«, erklärt er eifrig. »Weißt du, ich hab mal einen Film über einen Familienvater gesehen, der als Vertreter arbeitete. Aber in Wirklichkeit war er Geheimagent …«
»Und diesen Film haben wir nicht zufällig gemeinsam an dem Abend gesehen, als ich im Schlaf dieses dumme Zeugs gemurmelt habe?«
Er wird unsicher. Das reicht, damit er nicht weiter nachbohrt.
Insgeheim freue ich mich jedoch, dass er mir einen so riskanten Beruf zutraut. Und eigentlich mache ich ja auch nichts anderes als das, was er geträumt hat. Nur dass Spione sich zur Rechtfertigung ihrer Taten einreden, dass ihre Missionen politisch begründet sind und dem Vaterland zugute kommen. Ich hingegen versuche nicht über meinen Job nachzudenken, was mir auch ganz gut gelingt. Bisher zumindest.
»Sag einmal, Papa, warum rauchst du eigentlich?«
Die Frage erwischt mich kalt. Und ihre Beantwortung ist durchaus nicht ohne. Ich meine, es hat nichts mit Wohlbefinden oder Genuss zu tun: Es ist … es ist nur die einzige Rebellion, die Juanito sich Leticia gegenüber jemals geleistet hat. Sie, die sich gemäß des gerade herrschenden Trends gesund und ökologisch ernährt, hat an meiner Raucherei immer Anstoß genommen. Die Kinder wissen das. Alle, die uns kennen, wissen das. Doch trotz aller Szenen, die sie mir deswegen machte, und
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