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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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hören. Nur die Stoßdämpfer wippen auf und ab. Tony ist dick genug, um diese Bewegung auszulösen, aber er müsste eigentlich vor Anstrengung keuchen. Selbst wenn er unter Sofía liegt … Ich schüttele den Kopf: Ich lerne wirklich nichts aus meinen Fehlern. Offenbar ist Sixty-nine bei den FKKlern einfach groß in Mode.
    Nichtsdestotrotz spähe ich durch den schmalen Spalt zwischen Vorhang und Alurahmen in die kleine Küche des Wonwagens. Ich kann jedoch nur den Rücken einer Frau erkennen. Einen muskulösen, langen Rücken, der sich rhythmisch auf und ab bewegt. Vorsichtig schiebe ich den Vorhang ein wenig beiseite, und da sehe ich Tonys Gesicht, hochrot und schwitzend – weil er eine Plastiktüte über dem Kopf hat und Sofía ihm erbarmungslos die Gurgel zudrückt.
    Ich überlege nicht, ich handle. Ich renne die Tür ein, stürme den Raum, stürze mich auf Sofía. Etwas in Tonys Miene verzögert den tödlichen Hieb ins Genick der Frau, die herumgeschnellt ist und mir, in einer fremden Sprache schreiend, einen Faustschlag aufs linke Auge versetzt, während meine Handkante auf ihrer Schläfe landet. Mein Hieb hat jedoch nicht die nötige Wucht, um sie bewusstlos zu schlagen, und so will ich nachlegen, doch Tonys Finger, die sich in meinen Arm krallen, verhindern es. Ich reiße ihm die Tüte vom Kopf. Nach Luft japsend schüttelt er mit einem Blick auf Sofía vehement den Kopf, die mich hasserfüllt anstarrt, während sie sich die Schläfe massiert.
    Zu meiner Überraschung muss Tony schallend lachen, als er wieder zu Atem gekommen ist, und nach kurzem Zögern tut Sofía es meinem Freund gleich. Da geht mir auf einmal ein Licht auf und schnell stimme ich in ihr Gelächter ein, die Hand auf meinem linken Auge, das heftig pocht und allmählich zuschwillt. Ich entschuldige mich bei Sofía. Jeder kann schließlich Sex in der Spielart praktizieren, die ihm am meisten gefällt, und wenn den beiden so was Spaß macht, dann ist das ihre Sache. Zwar ist sie mir nach wie vor suspekt, aber ich glaube nicht, dass sie zu denen gehört, die dabei leicht die Kontrolle verlieren und ihre Liebhaber erwürgen … Außer, sie legt es darauf an.
    Eigentlich will ich mich jetzt schnellstmöglich verdrücken, doch Tony will davon nichts hören und lässt Sofía den Erste-Hilfe-Kasten hervorkramen und mir einen Verband übers Auge kleben.
    »Jetzt sind wir endlich zwei Piraten«, erklärt er lachend und deutet auf seine Augenklappe.
    »Tut mir echt leid, Tony«, stammele ich. »Es ist nur … gestern meintest du, du würdest bedroht, und als ich Sofía sah, dachte ich …«
    Sofía beherrscht sich mit Mühe, was aber nur ich registriere. Sie hat inzwischen Bier aus dem Kühlschrank geholt und leert ihre Flasche auf einen Zug. Sie ist wütend, auch wenn sie vor Tony so tut, als amüsiere sie das Missverständnis. Weil es sie wurmt, dass Tony doch nicht so wehrlos ist, wie sie dachte?
    Mein Freund will ihr jetzt ein paar Anekdoten aus unserer Kindheit erzählen, sie erhebt sich jedoch und verschwindet in Richtung Pool unter dem Vorwand, nach dem heißen Gefecht ein wenig Abkühlung zu brauchen.
    »Gott, wie peinlich …«
    »Vergiss es, Juan. Es kommt dir wahrscheinlich komisch vor, aber so was törnt mich einfach an. Und Sofía auch.«
    »Seid ihr schon lange zusammen?«
    »Drei Monate. Wir haben uns übers Internet kennengelernt, über eine Website für Leute, die auf so was stehen …«
    »Ich dachte …«
    »… dass sie ein Callgirl ist und es auf mein Geld abgesehen hat? Nein, so ist es nicht. Ich habe zu Hause Spiegel, Juan, viele Spiegel, es ist eine sehr große Villa. Und ich bin nicht blöd. Sofía hatte auf der Internetplattform selbst eine Anzeige geschaltet. Wir haben zuerst lange gechattet und uns erst dann irgendwann getroffen. Wahrscheinlich denkst du, dass sie sich von mir aushalten lässt, auch wenn du das nie sagen würdest, aber tatsächlich mache ich ihr nur hin und wieder ein Geschenk, so wie das Auto oder solche Sperenzchen wie den Urlaub hier. Weißt du, sie hat Informatik studiert. Sie verdient sehr gut als freiberufliche Programmiererin und hat mehrere Jahre in Deutschland gearbeitet; wie du gehört hast, spricht sie Deutsch, wenn sie sich vergisst, und …«
    Ich nicke und reime mir aus seinem Wortschwall das zusammen, was mich interessiert. Angefangen damit, dass die Schimpfkanonade, die sie bei meinem triumphalen Auftritt vorhin losließ, nicht auf Deutsch war, sondern auf Ungarisch, und es ziemlich

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