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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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vielleicht war das gestern Nacht und heute ja okay für dich, aber …«
    »Und ob ich will. Natürlich will ich!«
    Sofía sieht mich im Spiegel an.
    Und zwinkert mir zu.
    Flüchtig klopfe ich Sven zum Abschied auf die Schulter und gehe dann mit federnden Schritten davon.
    Es ist mir egal, wer er ist und was er jetzt denkt: Das Handy ans Ohr gepresst, will ich nur noch allein mit Yolanda sein, mit ihr schäkern und all die albernen Koseworte austauschen, die sich Leute sagen, wenn sie sich lieben und begehren.
    In unserer Bucht atme ich tief ein.
    Es riecht nach Meer.
    Es riecht nach Yolanda.
    Und auch wenn ich nicht weiß, was eigentlich vor sich geht: Das kann mir keiner mehr nehmen.
    Nicht einmal, wenn sie mich umbringen.
     

18
     
    Die nächtliche Brise trägt vereinzelte Geräusche zu uns in die Höhle, eine Welle, die ans Ufer klatscht, den Triumphschrei eines Kindes, das vermutlich eines der Spiele gewonnen hat, die man für die Kleinen nach dem Abendessen organisiert, Gitarrengeklimper. Ich weiß nicht, wie spät es ist, will es auch gar nicht wissen. Bis zum nächsten Tag, der mir Yolanda zurückbringt, ist es jedenfalls noch eine ganze Weile hin.
    Wie viel haben Camilleri und ich getrunken?
    Genug, um meine ganzen Zweifel für eine Weile zu vergessen und mich rundum wohl zu fühlen.
    Zu viel, als dass ich noch die nötige Vorsicht walten lassen könnte, die bei meinem Beruf eigentlich unabdingbar ist. Aber der Professor erinnert mich einfach irgendwie an meinen Vater und hat zudem etwas von einem weisen Patriarchen, von dem man noch viel lernen kann.
    Wir fingen im Restaurant mit dem Trinken an, und als der Kellner schließen wollte, erstanden wir für einen stolzen Preis eine Flasche Whisky und erbettelten zwei Gläser und einen Kübel voll Eis. Für die Entscheidung, gemeinsam zu unserem Refugium hinaufzusteigen, bedurfte es keiner Worte. Vielleicht weil wir schon seit Stunden übers Leben, die Literatur und das Kochen sprachen, über seine gastronomischen Träume und meine zweifelhafte Berufung zum Chirurgen, über Piraten und Frauen.
    Natürlich über Frauen.
    Ich erzählte ihm von Leticia, als hätte ich sie hintergangen und sie sei das Opfer eines Betrugs, der dem Betrüger nichts gebracht hat, erzählte ihm von der Zeit, als ihre Haut für mich noch wie eine Neonreklame war, die mir immer den richtigen Weg wies, deren Lichter jedoch eine nach der anderen ausgingen, als wir uns immer mehr auseinanderlebten.
    Und Camilleri? Der Professor sprach mit Wehmut von einer gewissen Constanza, und das mal so anschaulich, dass ich schon glaubte, im Rauch unserer Zigaretten nach ihr greifen zu können, und dann wieder so, als sei sie eine frei erfundene literarische Figur, eine wundervolle Frau aus Papier und Tinte. Als ich ihn darauf hinwies, seufzte er.
    »Das ist das Schlimme am Schriftstellerdasein, mein lieber Freund. Die Erinnerung in all ihrer herrlichen Unvollkommenheit verblasst im Laufe der Zeit, aber ein Schriftsteller versucht dem immer mit seinen Worten entgegenzuwirken. Denn wenn einem nichts mehr bleibt, hat man als Bettgenossinnen immer noch die Worte. Bücher sind wie ein übervölkerter Harem, in dessen Fluren das Begehren sich leicht verlaufen kann – oder gar im falschen Bett landet. Aber täuschen Sie sich nicht, mein lieber Juan: Manchmal nutzen einem nicht einmal mehr die Bücher etwas.«
    Von da kamen wir, ich weiß nicht, wie, auf das Schreiben und Camilleris Theorie, dass jeder Mensch eine Geschichte zu erzählen hat, auch wenn er sie nicht aufzuschreiben weiß.
    »Aber dafür gibt’s ja Techniken«, sagte er, »und die kann jeder erlernen. Auch Sie, mein lieber Juan. Sie fühlten sich nämlich bestimmt schon einmal versucht, ihre eigene zu Papier zu bringen …«
    »Ich? Nicht dass ich wüsste.«
    »Ach kommen Sie, Juan, ich habe schon so vielen Studenten auf den Zahn gefühlt, ich spüre genau, wenn jemand eine interessante Geschichte mit sich herumträgt. Das sehe ich den Leuten an: Fragen, Gewissheiten, Zweifel und hin und wieder auch Euphorie stehen ihnen ins Gesicht geschrieben. So wie Ihnen in den letzten Tagen.«
    Genug Alkohol für die ganze Nacht. Und zu viel, um ihm eine Antwort schuldig zu bleiben oder mir irgendeine plausible Story ausdenken zu können. Folglich habe ich ihm meine Geschichte erzählt. So, als wäre sie der Stoff eines Romans. Mit allen Details, aber natürlich auch einigen notwendigen Änderungen, damit er nicht ahnt, dass sie wahr ist. Zumindest

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