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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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ihn.
    Antonio.
    Mein Sohn hat ein Päckchen Zigaretten in der Hand, und seine Augen spiegeln etwas, das Bewunderung sein könnte. Oder auch Angst.
     

17
     
    »Dein Problem ist, dass du gern schwimmst, dich dabei aber nicht nass machen willst«, sagte die alte Nummer Drei immer zu mir. »Und eine Zeitlang funktioniert das auch, mein Junge. Aber irgendwann ist es damit aus und vorbei, und dann wirst du Farbe bekennen müssen. Da kommt niemand drum herum. Es ist in Ordnung, wenn du danach weiterhin den kleinmütigen Familienvater spielst und dich von deiner Ex schikanieren lässt – doch dir wird klar sein, wer du bist … auch wenn du das eigentlich gar nicht so genau wissen willst.«
    Er hatte recht, der Alte. Irgendwann muss man Farbe bekennen.
    Er sagte immer, dass es in unserem Beruf ärgerlicherweise eine Grenze gebe, die sich beziffern lasse, und jeder hat seine eigene, mein Junge. Meine ist die Fünfzig. Ich dachte damals, er kokettiere mit seinem Alter, denn als ich ihn kennenlernte, ging er gerade stramm auf die fünfzig zu und war trotzdem immer noch der Beste.
    Erst jetzt dämmert mir, dass er nicht von Jahren sprach, sondern von Toten.
    Womöglich sind fünfzehn Tote ja meine Grenze, und ich ziehe deshalb gerade alles in Zweifel.
    Irgendwann kommt der Tag, an dem man seine wahre Natur nicht mehr länger verleugnen darf, hat die alte Nummer Drei gesagt. Ich werde mich dieser Herausforderung stellen. Mit dem sechzehnten »Kunden« sind meine Zweifel dann vielleicht ja alle ausgeräumt.
    Nummer Dreizehn ist für ein paar Tage eingeschüchtert. Wenn er nicht vorher Leine zieht, knöpfe ich ihn mir noch mal vor.
    Ist der Damm erst einmal gebrochen, gibt’s kein Halten mehr. Im Nu bin ich bei den Holzhütten der Angestellten.
    Jetzt ist Sven an der Reihe, oder wie immer er auch heißen mag.
    Er muss neu sein in der FIRMA, vielleicht haben sie ihn aber auch irgendwo ausgeliehen. Auf jeden Fall ist er ein Anfänger. Wenn er weiß, wer ich bin, wird er gleich einen gehörigen Schreck kriegen, und wenn nicht, wird er’s gleich am eigenen Leib erfahren.
    Ich habe keinen Plan. Nur eine unbändige Wut im Bauch. Hat er sich an meinen Sohn rangemacht, damit ich davon erfahre und es als Drohung auffasse? Was zum Teufel wollen sie von mir? Warum rücken sie nicht einfach mit der Sprache raus?
    Mein verletztes Auge pocht, und meine Fähigkeit, logisch zu denken, macht wohl auf einem anderen Campingplatz Urlaub.
    Es tut mir leid für Sven – aber ihm wird’s noch mehr leidtun.
    Die Vorhänge sind zugezogen, durch die offen stehenden Fenster hört man jedoch Musik. Was macht mich wütender: die Vorstellung, dass er meinen Sohn aushorcht oder dass er Yolanda vögelt? Zum Nachdenken bleibt keine Zeit, und wenn ich gegen die Tür hämmere, statt sie gleich einzutreten, dann nur, weil ich das Gesicht des Schweden sehen will, wenn er begreift, dass er vom Jäger zum Gejagten geworden ist.
    Im Türrahmen erscheint allerdings nicht Svens Wikingerschopf, sondern eine Spanierin. Sie ist bis auf eine Schürze nackt und hält einen Wischmopp in der Hand. Auf ihrem Gesicht zeigt sich ein Lächeln, als sie mich erkennt. Bei mir dauert es etwas länger, bis der Groschen fällt. Die sympathisch wirkende Frau ist eine Kollegin von Yolanda.
    »Du bist ja ganz schön ungeduldig«, scherzt sie mit einem Akzent, der nach Sevilla oder Umgebung klingt. »Hat Yolanda dir nicht gesagt, dass sie erst morgen zurück ist? Es sollte doch eine Überraschung werden …«
    Aus meinem Mienenspiel schließt sie, dass ich keine Ahnung habe, wovon sie spricht.
    »Oh, verdammt, jetzt hab ich’s vermasselt!« Schuldbewusst seufzt sie und reicht mir dann die Hand. »Hallo, ich bin übrigens Carmen.«
    Mir schießt durch den Kopf, dass wir von Weitem wohl aussehen wie eine Hausfrau und ein Staubsaugervertreter, der ihr Vertrauen zu gewinnen versucht. Nur dass ich außer einer Shorts und sie außer der Schürze nichts anhaben. Sie bittet mich hinein, denn jetzt ist die Überraschung eh vergeigt, und du kannst mir das Bett aufbauen helfen .
    Die Hütte ist dieselbe wie vor ein paar Stunden, aber Carmen hat sie einem Großputz unterzogen, und es riecht nun überall nach Piniennadeln.
    Die energische Animateurin redet wie ein Wasserfall, während sie ein paar Kartons ausräumt, und so erfahre ich, dass Yolanda die Hütte blitzblank haben wollte, damit wir statt in meinem Zelt hier schlafen können. Bisher habe sie die Hütte mit Yolanda geteilt, aber ich bin

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