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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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schüchternen Mannes genügen ihm, um sich wieder zu entspannen. Keine Ahnung, wo die FIRMA ihn herhat, aber er wird es in diesem Beruf nicht weit bringen.
    Allerdings: Was hätte er in so einer Situation auch sonst tun sollen?
    »Sich ganz normal verhalten«, hat mir die frühere Nummer Drei für solche Fälle geraten. »Nehmen wir einmal an, du hast auf der Toilette einer Cafeteria jemanden ins Jenseits befördert, okay? Gerade bist du dabei, ihn mit runtergelassenen Hosen auf die Kloschüssel zu setzen, damit die anderen Gäste erst mal glauben, der Typ hätte die Scheißerei, da kommt irgend so ein Depp rein und rüttelt an der Kabinentür. Wenn du einen Schreck kriegst, musst du den armen Trottel auch abknallen. Und wenn du zögerst, kommt er vielleicht auf die Idee, dass da etwas nicht stimmt, und holt in der Cafeteria Hilfe. Nein, in so einer Situation muss man einfach verärgert ›Besetzt!‹ schreien, so, als hätte er dich gerade mitten beim Scheißen unterbrochen. Darauf macht es sich der Kerl garantiert auf der am weitest entfernten Klobrille bequem, und falls er beim Rausgehen dann doch noch auf die Idee kommt, unter der Tür durchzusehen, wird er glauben, dass dein ›Kunde‹ immer noch kackt, während du längst über alle Berge bist.«
    »Und wenn es nur eine Kabine gibt und er deshalb beschließt, vor der Tür zu warten?«
    »Dann denk an Lektion zwei, mein Junge: Leg niemanden in einem Scheißhaus mit nur einer Kloschüssel um.«
    Sven hatte jedenfalls keinen so hervorragenden Mentor wie ich. Wenn man in seiner eigenen Hütte und außerhalb der Arbeitszeit wegen einer Lappalie beim Vögeln unterbrochen wird, schlägt man dem Störenfried normalerweise die Tür vor der Nase zu. Eine Lektion, die der blonde Schwede anscheinend nicht gelernt hat. In seinem gebrochenen Spanisch erklärt er mir, dass Antonio sehr sportlich sei und nur etwas mehr Selbstvertrauen bräuchte, um alles zu erreichen, was er wolle. Und damit nicht genug: Schüchternen Kindern wie meinem Sohn tue FKK zudem sehr gut, weil es sie von Komplexen befreie. Sven doziert drauflos, als ginge es um sein Leben. Will er mit dem Geschwalle davon ablenken, dass er mit jemandem gevögelt hat, mit dem er das nicht sollte, und ich das unter keinen Umständen erfahren darf?
    Die Frau wühlt jetzt in einer Handtasche, aber im Spiegel kann ich nur ihre Hand und die Tasche erkennen. Wie sah Yolandas Handtasche aus? Wie ihre linke Hand? Und was sucht sie? Zigaretten? Oder eine Waffe, falls Sven nicht verhindern kann, dass ich die Bude stürme?
    Der Schwede quasselt nervös weiter. Er schwitzt, doch es ist nicht mehr derselbe Schweiß wie gerade eben, sondern kalter Angstschweiß, der ihm in dicken Tropfen auf der Stirn steht; er traut sich weder, die Tür zuzumachen, noch, sich umzudrehen, um zu sehen, was ich entdeckt habe.
    Ich werde jetzt jedenfalls reingehen, ob er will oder nicht.
    Ich krame in meiner Hosentasche nach dem Handy und rufe mir die Tastenkombination in Erinnerung, die die Metallklinge herausschnellen lässt, während ich im Spiegel beobachte, wie die Frau sich nach vorne beugt. Gleich werde ich ihr Gesicht sehen.
    In diesem Moment vibriert mein Handy.
    Ich blicke aufs Display. Eine unbekannte Nummer. Es ist völlig absurd, aber ich nehme das Gespräch an, obwohl das Sven einen Vorteil verschafft, falls er mich gleich angreifen will.
    Die Stimme einer Frau. Yolanda. Erst vor ein paar Stunden, als sie nach Cartagena aufgebrochen ist, habe ich ihr meine Nummer gegeben.
    »Ich vermisse dich, Juan. Ganz schrecklich. Kannst du sprechen, oder störe ich gerade?«
    Ich zögere, bevor ich antworte, denn ich überlege fieberhaft. Sie spricht ziemlich laut. Wenn sie drinnen vom Bett aus spräche, müsste ich ihre Stimme auch gleichzeitig in der Hütte hören. Oder nicht?
    »Juan?«, fragt sie.
    Die Frau im Bett hat sich aufgesetzt.
    Im Spiegel sehe ich ihr Gesicht.
    Sofía hat sich eine Zigarette angesteckt.
    »Ja«, antworte ich. »Ja, ich kann sprechen.«
    Ich mache Sven gegenüber eine entschuldigende Geste, doch statt die Tür endlich zuzuknallen, bleibt er abwartend stehen.
    »Ich wollte dir nur sagen, dass mit dem Geschäftsführer alles gut gegangen ist. Und dass ich mit einem Kollegen die Hütte getauscht habe, und in der steht jetzt ein Doppelbett ganz für uns allein! Ich wollte dich bei meiner Rückkehr eigentlich damit überraschen, aber … ich bin hier so allein und … ich überlege gerade, ob du das überhaupt willst …

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