Wir tun es für Geld
haben, gab es nie einen radikalen Schnitt in unserem Wohnstil. Wer hier unvoreingenommen reinkommt, könnte denken, dass wir immer noch dauerpartyfeiernde Studenten sind.
Gut, vielleicht Studenten mit hohem Budget, denn Ines hat im Lauf der Zeit doch hier und da mal etwas richtig Schönes angeschafft. Die beiden Blumenvasen, der neue Esstisch, die blauen Vorhänge, die gerahmte Radierung eines spanischen Künstlers. Aber ihr aktueller Lebensstil kommt trotzdem nur tupfenweise zur Geltung. Und auch die neue Anlage wird nur ein weiterer Tupfen sein.
Einerseits kann ich nichts für diesen Zustand. Ines weiß, dass ich kein Problem damit hätte, wenn sie in unseren Räumen alles radikal ändern würde. Andererseits wäre es vielleicht besser um uns beide bestellt, wenn ich selbst einmal mit dem Ändern angefangen hätte. Zeit genug hätte ich gehabt, selbst wenn ich kein einziges von den Endlos-Frühstücken mit Vanessa und ihrer Hand an meinem Oberschenkel-Schalter ausgelassen hätte. Ich hätte das Wohnzimmer neu streichen können, ich hätte Einrichtungshäuser besuchen können, um Vorschläge für neue Teppiche und neue Sitzmöbel zu machen, und vor allem hätte ich diese grelle Pendelleuchte mit der 100-Watt-Birne rausschmeißen und dafür sorgen sollen, dass wir endlich angenehmes Licht haben.
So sieht ein Wohnzimmer von zwei Leuten aus, die nur zusammenwohnen, weil sich noch nichts anderes ergeben hat – und zwischen denen neuerdings ein selbstersonnener Steuertrick pappt wie ein zäher Batzen Baumharz. Außer Lukas zu sein habe ich nie etwas dafür getan, dass Ines sich hier wohl fühlt.
Ich fahre mit den Fingern über Ekkeharts Jazzplatten, die als Hörtestmaterial immer noch neben der neuen Hifi-Anlage stehen, dann beginne ich unsere alte Anlage aus dem Regal herauszuholen und die neue am gleichen Ort aufzubauen.
Der passend zu den Verstärkern ebenfalls schneeweiße Plattenspieler ist viel schwerer, als es sein ätherisch klingender Name Clearaudio Performance vermuten lässt, aber natürlich gar nichts gegen Ekkeharts Steinboxen. Ich versuche so wenig Kabel wie möglich auszustöpseln, und die, die ich zum Umbauen rausziehen muss, stecke ich wieder exakt so rein, wie sie waren. Die alte Anlage stelle ich zuerst in den Flur, nehme sie dann aber sofort wieder weg und trage sie in mein Zimmer, damit hier nichts nach Baustelle aussieht.
Es dauert immer noch eine kleine Ewigkeit, bis ich zur Arbeit muss. Ich betrachte unser Regal und schalte vorsichtig die neuen weißen Kistchen an. Dann ziehe ich Sonny Rollins’ Saxophone Colossus aus dem Karton, nehme die Platte aus der Hülle und lege sie behutsam auf den dicken Plattenteller aus massivem Acryl. Der Motor läuft. Die Karbonbürste liegt bereit. Ich versuche Ekkeharts ritualhafte Bewegungen nachzumachen, bin aber nicht sicher, ob die Platte danach wirklich sauberer ist als vorher. Wenigstens die Antistatik-Pistole ist idiotensicher. Nachdem ich dreimal abgedrückt habe, greife ich nach dem Tonarm, zucke im nächsten Moment zurück und suche nach dem Tonarmlift. Ich lege den Hebel um, schiebe den Tonarm zum zweiten Stück und lasse ihn herunter.
Sonny Rollins spielt einen weit ausholenden Auftakt, dann beginnt die tränenerstickte Ballade You Don’t Know What Love Is. Ich sinke in unser in unzähligen Jahren breitgesessenes Sofa, starre an die Decke und zerdrücke am Ende zwei Tränen.
Als der Song zu Ende ist, schalte ich die Anlage aus und steige seufzend in mein Verkäufergewand. Ein letzter Blick in den Spiegel, dann raus ins Treppenhaus. Ich summe weiter leise You Don’t Know What Love Is vor mich hin. Meine Beine sind schwer.
»Guten Tag, Herr Fink.«
»Hallo, Frau Kohlmeyer.«
»Sie sehen aber gar nicht gut aus. Sie brauchen mal frische Luft.«
»Tja, da, wo ich arbeite, gibts die leider nicht.«
»Essen Sie denn wenigstens vernünftig?«
»Doch, meistens schon. Danke übrigens noch mal für die Putenschnitzel neulich. Die waren wirklich ausgezeichnet.«
»Gell?«
* * *
Ines sitzt jetzt irgendwo mit Bernd beim Abendessen. Ich weiß, dass ich kein Auge zumachen werde, bis sie nach Hause kommt. Und weil sie vermutlich gar nicht nach Hause kommen wird, werde ich auch die ganze Nacht kein Auge zumachen. Grund genug, gar nicht erst nach Hause zu gehen.
Der Saxophonist steht am vorderen Bühnenrand und bläst, als wolle er die Decke zum Abheben bringen. Muss er auch. Die Band hinter ihm macht solchen Druck, dass er sonst untergehen
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