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Wir tun es für Geld

Wir tun es für Geld

Titel: Wir tun es für Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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würde. Unglaublich. Alles deutsche Twentysomething-Milchgesichtbubis, die vielleicht gerade mal ihren Zivildienst hinter sich haben, aber sie klingen, als könnte man die langweilige Können-Weiße-überhaupt-schwarze-Musik-spielen?-Diskussion heute Abend endlich für alle Zeiten ins Grab legen. Ja, irgendwann, irgendwann will ich auch mal in ein Tenorsaxophon blasen. Nur einmal. Nur um zu wissen, was für ein Gefühl das ist.
    Das Solo ist zu Ende. Ein paar Handpaare klatschen entschlossen los, ein paar weitere, darunter meins, schließen sich an. Mit kurzer Verzögerung setzt auch rechts neben mir Applaus ein. Ich muss lächeln.
    »Wirklich nett von dir, dass du mitgekommen bist, Ekkehart.«
    »Gern geschehen. Weißt du, ich hatte sowieso nichts anderes vor.«
    Das Klaviersolo beginnt sparsam. Ein paar versprengte Töne tropfen zwischen die Beats. Man muss genau hinhören, um sich anstecken zu lassen. Das Schlagzeug ist, wie immer, viel zu laut. Ekkehart rutscht von einer Pobacke auf die andere. Muss ich mir Vorwürfe machen? Er war es, der mich im Treppenhaus gefragt hat, was ich heute Abend mache. Und er war es, der gefragt hat, ob er mit ins Flatted Fifth kommen kann.
    Ja, ich war froh, dass ich nicht, wie meistens, alleine unter den dummklug aus ihren Vollbärten heraus schwätzenden Gymnasiallehrern sitzen muss, die komischerweise immer den größten Teil des Jazzpublikums bilden. Aber ich habe Ekkehart nicht bedrängt. Er hat gefragt.
    Gegähnt hat er bis jetzt noch nicht, aber wenn er sich erst mal an der neuen Umgebung sattgesehen hat, wird es kommen. Ich habe das schon mit so vielen anderen erlebt. Mein gesamter Freundeskreis saß mit mir schon hier, von A wie Annemarie bis V wie Vanessa und Viktor. Genau an diesem Tisch. Und jeder ist genau nur ein Mal mitgekommen. So nach dem Motto, was bei Wolfgang Petri das Freundschaftsbändchen, ist bei Lukas ein Konzertbesuch im Flatted Fifth. Da musst du durch. Ohne das kommt keine richtige Beziehung zu ihm zustande.
    Ich bin ein Unmensch.
    Die Klaviertöne häufen sich und werden lauter. Aber der Mann kann noch wesentlich mehr, als ein Solo lehrbuchmäßig aufzubauen. Er zieht mich mitten hinein…
    Armer Ekkehart. Nein, ich schwöre, das war das letzte Mal heute. Ich werde niemanden mehr ins Flatted Fifth schleppen. Ich werde mich mit einem von den bärtigen Gymnasiallehrern anfreunden. Vielleicht ist ja doch einer dabei, den man ertragen kann.
    »Mal ganz ehrlich, Ekkehart, dir gefällt die Musik nicht, oder?«
    »Doch, doch.«
    »Du brauchst nicht zu lügen.«
    »Nein, ich mag es.«
    »Ich kann dich verstehen, wenn du es nicht magst.«
    »Gut, aber ich mag es nun mal.«
    »Aber du kannst es doch gar nicht mögen.«
    »Ich verstehe nicht ganz. Wieso?«
    »Na, entweder man mag Anatol Kolumbanovich, oder man mag Jazz. Beides geht nicht.«
    »Bei mir geht es anscheinend doch.«
    »Komm, du brauchst mir nichts vorzumachen.«
    »Tu ich nicht.«
    »Was gefällt dir an Anatol Kolumbanovich?«
    »Nun, es ist einfach die schönste Musik, die ich mir vorstellen kann. Und absolut perfekt aufgenommen. Sie hatten insgesamt 32 Mikrofone im…«
    »So. Und wenn Kolumbanovichs Gezupfe die schönste Musik ist, die du dir vorstellen kannst, was gefällt dir dann hieran? Das hier ist wild, unharmonisch, verstörend…«
    »Mag sein, aber es erinnert mich an Großonkel Adalbert.«
    »Ach so.«
    »Er hat sich immer ganz viel um mich gekümmert, als ich ein Kind war, und abends, wenn ich am Einschlafen war, hat er immer diese Platten da im Wohnzimmer gehört. Du bist, glaube ich, der erste Mensch, den ich kennenlerne, der Jazz so gern mag wie Großonkel Adalbert.«
    »Verstehe.«
    »Hast du eigentlich schon mal daran gedacht, als Musikkritiker zu arbeiten?«
    »Brmpf. Ja, ich schreibe regelmäßig Artikel über Jazz und schicke sie an den Tagesspiegel, aber bis jetzt wollten sie nie was abdrucken. Nicht mal gemeldet haben sie sich.«
    »Oh, das tut mir leid.«
    Das Stück ist vorbei, die Musiker verabschieden sich zur Pause.
    »Was hat dein Großonkel Adalbert eigentlich in New York gemacht?«
    »Nun, er ist früh aus der Wehrmacht desertiert, hat sich nach New York durchgeschlagen, und dort hat er, soweit ich weiß, als Kellner, Asphaltierer, Hundeausführer, Eintänzer, Fensterputzer, Museumsaufsicht, Taxifahrer, Portier und Hot-Dog-Verkäufer gearbeitet, und nachts ist er immer in die Jazzclubs gegangen.«
    »Beneidenswert.«
    »Oh, ich glaube, er hatte kein leichtes Leben. Wenig

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