Wir tun es für Geld
gesagt. Schon allein, dass sie mich endlich als Jazz-Experten wahrgenommen haben, macht mich rasend glücklich. Und sie lassen mich sogar gleich mit McCoy Tyner sprechen. MCCOY TYNER! Der Mann, der mit seinem Klavier ein ganzes Orchester an die Wand spielen kann, der Held, der sechs Jahre lang Pianist im John Coltrane Quartet war, der Übermensch, der einst auf A Love Supreme die Tasten bearbeitete, als gäbe es kein Morgen mehr, ein lebendes Stück Jazzgeschichte, eine Legende…
Okay, ganz sachlich: Wenn ich McCoy Tyner wäre, was sollte dann ein junger deutscher Kulturjournalist zu einem Treffen mit mir anziehen? Einerseits habe ich als 70-jähriger schwarzer Jazzmusiker in den USA das Schattenseiten-des-Lebens-Programm in allen Variationen gehabt. Geldnot, Rassismus, Geringschätzung meiner Kunst und so weiter. Und gepuderte Schnösel hasse ich genauso wie Publikum, das auf Eins und Drei mitklatscht. Aber andererseits schätze ich an Europa, dass Jazz dort als Kunst gilt, die Feuilletons darüber schreiben, die Klaviere immer gestimmt sind, und, genau, dass die Journalisten, mit denen ich spreche, ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringen, indem sie sich gut anziehen. Außerdem treffen wir uns im Le Canard, das hat immerhin einen Michelin-Stern, soweit ich weiß. Also, Entscheidung gefallen.
Ich puste die Staubkörner von meinem schwarzen Anzug. Champagnerfarbenes Hemd plus dezenter Schlips dazu und die Schuhe noch mal poliert.
McCoy Tyner. In nur einer Stunde werde ich ihn treffen. Nicht zu fassen. Ob ich ihn gleich mit Vornamen ansprechen soll? Auch wieder so ein Ding. Der normale Ami-Star hat kein Problem damit, aber bei Jazzmusikern ist, wie gesagt, Respekt das A und O. Wenn ich da einfach so »McCoy« sage, fühlt er sich womöglich in einen Topf mit Robbie Williams geworfen. Gut, Dizzy Gillespie, den hätte man natürlich mit »Dizzy« angesprochen, Cannonball Adderley vielleicht auch noch mit »Cannonball«… Aber nein, kein Risiko. »Mr Tyner«, damit bin ich auf der sicheren Seite.
Und soll ich ihm meine Fragen sofort stellen, oder plaudert man erst mal? Reicht mein Englisch überhaupt? Jedenfalls darf ich ihn auf keinen Fall beim Essen stören. Interviewfragen nur zwischen den Gängen, ganz klar.
Wo ist mein Schreibblock im Lederetui? Verflixt, ich hatte doch vor ein paar Jahren einen zu Weihnachten geschenkt bekommen, ich weiß es noch ganz genau…
* * *
»Ihr Name, mein Herr?«
»Fink.«
»Herr Fink. Ja, sehr wohl. Darf ich Sie zu Ihrem Tisch führen?«
»Häm, ja bitte.«
Ich wünschte, ich wäre schon früher mal im Le Canard gewesen, dann würde ich mich hier viel souveräner bewegen. McCoy Tyner wird bestimmt sofort merken, dass das normalerweise nicht meine Welt ist. Wenigstens bin ich früh genug dran, um mich noch ein bisschen einzugewöhnen.
»Ich hoffe, dieser Tisch ist Ihnen genehm?«
»Äh, ja.«
Manno, der braucht mir doch nicht den Stuhl unter den Hintern zu schieben. Das ist ja wirklich albern.
»Darf ich Ihnen schon einen Aperitif bringen?«
»Nein, danke, ich warte noch.«
»Selbstverständlich.«
Weia, ich sehe schon den ersten Krisenherd für unser Gespräch. Ich stehe auf, wähle den kürzesten Weg zwischen den Tischen hindurch und pirsche mich an den Restaurant-Pianisten heran, der in der Mitte des Raums den unvermeidlichen Hintergrund-Klimperteppich ausbreitet. Er sieht mich kommen, ignoriert mich aber und bearbeitet in stoischer Gelassenheit weiter den Steinway. Ich tippe ihm auf den Arm. Er sieht unwillig an mir hoch, sicher weil er glaubt, dass ich ihn jetzt bitte, As Time Goes By für mich und meine Süße zu spielen, und nicht mal einen Schein in der Hand habe.
»Entschuldigen Sie die Störung, nur… ich treffe mich hier gleich mit McCoy Tyner und, äh, wie soll ich sagen, könnten Sie ein gewisses Niveau…?«
»Was? McCoy Tyner? Hier? Kein Scherz?«
Er ist sofort blass geworden, spielt aber weiter, als wäre nichts gewesen. Ein echter Profi.
»Ja, McCoy Tyner. Ich bin vom Tagesspiegel und mache ein Interview mit ihm.«
»Danke fürs Bescheidsagen. Ich… ich spiele ganz leise… Mein Gott, McCoy Tyner… Wusste gar nicht, dass der noch lebt.«
Welche Wirkung ein Name haben kann. Ein Glück, dass ich nicht in seiner Haut stecke.
Gibt es sonst noch etwas, das das Wohlbefinden eines wandelnden Stücks Jazzgeschichte stören könnte? Nein, eigentlich nicht. Es ist das beste Restaurant der Stadt, angenehme Atmosphäre, bestes Essen, da kann er
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