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Wir tun es für Geld

Wir tun es für Geld

Titel: Wir tun es für Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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etwas Warmes essen.«
    Ines’ kontierte Entenmagenscheibchen sind zusammen mit den Beilagen so raffiniert angerichtet, dass man eher an einen Scherenschnitt von Matisse denken würde als an das, was die Dinger in der Mitte im Rohzustand waren. Ines arrangiert ebenso zärtlich wie kunstvoll einen Happen auf ihrer Gabel, führt ihn in den Mund und schließt die Augen.
    »Köstlich. Lukas, hier kannst du wirklich noch was lernen.«
    »Sag bloß.«
    Ines’ volle Lippen passen eigenartig perfekt zu ihrem zarten Gesicht, und das zarte Gesicht mit den vollen Lippen passt wiederum wie ein Sinnbild zu Gesamt-Ines. Bald sehe ich wieder nur die Lippen und wie sie sich beim Kauen bewegen, und endlich drängt es mich doch, mein Essen zu probieren. Ich habe keinen Hunger, aber ich bin neugierig. Für einen kurzen Moment erwischt mich das Feuerwerk, das der Koch in diesen Fisch gepackt hat, aber es verliert sich schnell in den bitteren Noten, die in mir und um mich herum alles beherrschen.
    »Ines, hätte ich es wirklich merken müssen? Vielleicht hast du dich auch zu sehr versteckt?«
    »Versteckt. Kann schon sein. Die Frage ist, ob mir etwas anderes übrig blieb, als mich zu verstecken.«
    Was ärgert sie mehr? Meine Vanessa-Sucht oder dass sie sich versteckt hat? Ich esse noch ein paar Bissen und versuche aufzuhören, sie zu beobachten. Zu Hause hätten wir dieses Gespräch niemals geführt. Ich muss froh sein, dass wir hier sitzen, auch wenn es nicht nach dem ersten Schritt zum Glück aussieht.
    »Wie hast du eigentlich diesen Termin mit diesem Professor Bleibimhaus abgesprochen? Hat er dich angerufen?«
    »Sein Mitarbeiter. Aber ich habe nachgesehen. Den gibt es wirklich.«
    »Hatte der Mitarbeiter eine hohe Stimme und war er sehr höflich?«
    »Ja.«
    »Wahrscheinlich der gleiche wie der vom Tagesspiegel, der bei mir angerufen hat.«
    »Viktor.«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Stimme verstellen und Rolle spielen ist für ihn ja nicht weiter schwer.«
    »Aber warum?«
    Sie lehnt sich zurück und trinkt einen großen Schluck.
    »Lassen Sie uns wieder über Jazz reden, Mister Fink.«
    »Komm, jetzt lass aber mal, echt.«
    Sie kippt auf ihrem Stuhl ein wenig zurück, als würde ihr die Distanz, die der Tisch zwischen uns bringt, nicht ausreichen.
    »Stell mir die letzte Frage, die du McCoy Tyner stellen wolltest.«
    »Willst du das wirklich?«
    »Ja.«
    »Aber du antwortest dann auch?«
    »Werde ich tun, Mister Fink. Versprochen.«
    »Mister Tyner, die berühmte Jazz-Mäzenin Pannonica de Koenigswarter pflegte Musiker, die sie kennenlernte, früher oder später nach ihren drei größten Wünschen zu fragen. Sie schrieb die Antworten auf, um sie später in einem Buch zu veröffentlichen. Das Buch erschien erst lange nach ihrem Tod. Unter den 300 Musikern, die dort Zeugnis ablegen, fehlen Sie. Deshalb würde ich Sie, wenn Sie es mir erlauben, gerne heute stellvertretend für Frau de Koenigswarter nach Ihren drei größten Wünschen fragen.«
    Kein Zucken. Sie sieht mir fest in die Augen und denkt lange nach. Dann spricht sie, mit großen Pausen dazwischen, die drei Wünsche aus.
    »Ich wünsche mir, dass Mickey Roker immer mein Freund bleibt.«
    …
    »Ich wünsche mir, dass ich, zusammen mit Mickey Roker, unserem vorwitzigen Kumpel Lee Morgan einmal einen richtig guten Streich spielen kann.«
    …
    »Und ich möchte irgendwann Bud Powell heiraten und mit ihm ein Klaviergeschäft eröffnen.«
    Ernst, sehr ernst, wie sie mich ansieht. Klaviergeschäft eröffnen. Das darf nicht so stehen bleiben. Ich spreche wie von selbst und erschrecke insgeheim vor dem, was ich sage.
    »Mister Tyner, Sie müssten genauso gut wie ich wissen, dass Bud Powell schon lange gestorben ist.«
    »Nicht in meinem Herzen, Mister Fink.«
    »Und Mickey Roker lebt noch, soviel ich weiß.«
    Ein letzter aussichtsloser Anlauf, ich weiß. Sie legt mir die Hand auf den Arm und drückt ihn leicht.
    »Ich bin froh, dass wir gesprochen haben, Lukas, aber mach es mir nicht unnötig schwer, okay?«
    Ich lasse meinen Blick hilflos im Restaurant herumwandern, um ihn wieder auf Ines’ Gesicht landen zu lassen. Kaum ist er dort angekommen, schießt er aber wie von selbst wieder eine Viertelrunde zurück, an eine Stelle, an der er gerade etwas wahrgenommen hat, das er nicht sofort einordnen konnte. Ein Gesicht hat sich über dem Geländer der Galerie gezeigt. Es wollte nicht von mir gesehen werden, aber es weiß, dass es zu spät ist. Es lächelt mich etwas verlegen an.

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