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Wir tun es für Geld

Wir tun es für Geld

Titel: Wir tun es für Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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mache ich wieder einen Schritt neben mich. Ich sehe mich langsam nicken. Meinen Körper fühle ich nicht mehr, nur noch klammes Entsetzen, das alles in mir und um mich herum mit Schwerindustriegewalt zusammenpresst.
    »Bu, es tup mir so leib, aber ich muss jetzp auch gleich mos. Bermb wartep schom seit zehm Mimumpen auf mich.«
    Sie drückt noch einmal meine Hand. Dann wendet sie sich wie in Zeitlupe ab und nimmt ihren Mantel. Ich sehe zu, wie sie sich die Taschen mit frischen Tempo-Packungen vollstopft, aber ich weiß nicht, was ich derweil mache, nicht mal, ob ich in diesen Momenten überhaupt existiere. Nichts hat geklappt. Ich wollte mit einem großen Hauruck das Ruder herumreißen, aber alles, was ich geschafft habe, ist, Ines eine Containerladung schlechtes Gewissen aufzuladen.
    »Viemmichp fragsp du stapp mir…«
    Noch einmal treffen sich unsere Blicke und funken sich für kurze Momente Botschaften hin und zurück. Ich muss zum Glück nicht den Kopf schütteln, damit Ines nicht Vanessa sagt.
    »… stapp mir, äh… Frau Kohmmeyer?«
    »Mit Frau Kohlmeyer gehe ich die Woche noch ins Entspannungsbad.«
    »Ah, verspehe.«
     
    * * *
     
    Wieder weiß ich nicht, wie lange ich rumgestanden bin, nachdem Ines sich verabschiedet hat. Mir kam es vor wie zwei Stunden, aber wahrscheinlich waren es in echt nur wenige Minuten. Das Essen ist jedenfalls noch warm, als ich mir endlich einen Ruck gebe und beschließe, Ekkehart einzuladen. Ich habe die Klinke schon in der Hand, als es klopft. Vanessas Klopfen. Das höre ich ebenso sicher heraus wie den federnden Tastenanschlag von Chick Corea. Dass ich öffne, ist mehr so ein Reflex, weil ich die Hand schon auf der Klinke habe. Ich weiß nicht, ob ich es sonst getan hätte.
    »Lulu, mein Bester!«
    »Hallo.«
    »Oh, sag bloß, du hast für mich gekocht?«
    Sie geht forsch an mir vorbei und gibt mir dabei einen Klaps auf den Po. Das alte Abstellgleiszeit-ist-zu-Ende-Zeichen. Ich spüre es, aber es ist nicht wie ein Klaps auf meinen Po, sondern es ist, als hätte ich eine Plastiktüte mit einem Salatkopf in der Hand, auf die sie draufgeklapst hat.
    Sie sieht mich an. Zuerst, wie immer, kokett, einfältig, verschwörerisch und süß. Anschließend, Repertoireblick für besondere Fälle, besorgt, warm, mütterlich. Dann, Repertoireblick zwei für ganz besondere Fälle, etwas ärgerlich. Dann, Blickrepertoire erschöpft, als wäre mein Po tatsächlich eine Plastiktüte mit einem Salatkopf drin.
    Ich spüre, wie zwei Tränen aus meinen Augen herauskippen. Mir ist nicht so, als würde ich wirklich weinen, dafür bin ich noch viel zu sehr in meiner Starre. Trotzdem fühle ich, wie die Rinnsale an meinen Wangen herunterlaufen.
    Aber auch wenn das kein richtiges Weinen ist, Vanessa sieht zum ersten Mal in ihrem Leben meine Tränen. Mit ihrem Gesicht passieren jetzt Dinge, die ich noch nie zuvor bei ihr gesehen habe. Es ist, als würde auf einmal Schicht um Schicht abplatzen. Sie will wegschauen, aber sie zwingt sich, mich weiter anzusehen. Ich spüre, wie viel Überwindung sie das kostet. Immer weiter verschwinden die Masken und geben neue Gesichter frei. Manchmal passiert es durch ein Zucken, manchmal durch Bewegungen, die so langsam sind, dass man sie kaum wahrnimmt. Ich habe Angst vor dem, was am Ende zum Vorschein kommen wird, bin aber gleichzeitig neugierig. Ich sehe sie an, als wäre ich am ganzen Körper gelähmt und könnte nur noch die Augen bewegen. Wieder habe ich nicht das geringste Gefühl für die vergehende Zeit, aber ich ahne, dass wir uns noch nie so lange schweigend angesehen haben.
    Irgendwann, viel später, kommt sie endlich zur Ruhe. Ein anderer Mensch sieht mich an, aber es erschreckt mich nicht, es überrascht mich nicht einmal. Ich habe ihr Gesicht noch nie so gesehen, aber es kommt mir gleichzeitig unendlich vertraut vor.
    Und dann beginnt das Gesicht zu sprechen. Mit einer Stimme, mit der etwas Ähnliches passiert sein muss wie mit dem Gesicht.
    »Ines.«
    Sie hat das Wort nur ganz leise geflüstert. Aber in ihm schwingt alles mit, was ich brauche, um das Gesicht erklären zu können. Das Vanessa-Spiel ist vorbei. Keiner hat mich gezwungen, es so lange und immer wieder von neuem mitzuspielen. Es war immer meine Entscheidung gewesen. Sie hat höchstens entschieden, meine Entscheidung zu beeinflussen. Doch das reicht ihr. Sie ist schuld. Nichts und niemand wird sie von dieser Meinung abbringen. All das kann ich sofort in dem neuen Gesicht sehen.
    Nun schaut sie

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