Wir tun es für Geld
machen. Besser für die schlanke Linie.«
Endlich sind wir durch die Tür. Der Chemiewasser-plus-ungewaschene-Füße-Duft ist im Eingangsbereich halbwegs erträglich. Als ich den Herren-Umziehbereich betrete, allerdings nicht mehr. Aber dafür ist es angenehm, mal in einem Schwimmbad zu sein, dessen männlicher Besucheranteil nicht ausschließlich aus wandelnder Muskelmasse besteht. Ja, in diesen Körpern stecken Kriegsjahre, Wirtschaftswunder und Fresswellen, aber bestimmt keine Eiweißpräparate.
Als ich mit Badehose, Bademantel und großem Handtuch bewaffnet die Umkleidezone Richtung Bad verlasse, betrete ich als Erstes eine Wegekreuzung, die jeden erfahrenen Wandersmann in Angst und Schrecken versetzt hätte. Es gibt nicht weniger als zehn Richtungen, die ich einschlagen kann, und um den Hinweisschilderwald zu studieren, bräuchte ich Tage. Ich fange erst gar nicht damit an. Frau Kohlmeyer soll mich führen. Ich muss mich entspannen, nachdenken und ein neues Leben beginnen. Da darf ich keine Kraft vergeuden.
Ich lehne mich an eine der künstlichen Palmen und schiele immer wieder unauffällig zum Ausgang der Damenumkleide. Hoffentlich haben wir uns nicht verpasst…
Nein, da kommt sie.
Ach du…
Bisher hatte ich immer gedacht, Frau Kohlmeyer könnte sich wirklich mal ein bisschen adretter anziehen. Jetzt wird mir mit einem Schlag klar, was für ein Genie sie bei ihrer Klamottenwahl ist. Nur, mit einem Badeanzug ist, Genie hin oder her, bei dieser Leibesfülle nichts mehr zu reißen.
»Ah, da sind Sie ja, Herr Fink. Hübsch hier, nicht wahr? Was möchten Sie denn als Erstes machen? Schwimmen, Sauna, Aqua-Fitness?«
Falls ich sie zu erschrocken angestarrt habe, lässt sie sich das zumindest nicht anmerken.
»Mir egal. Es muss nur still und entspannend sein.«
»Ach so, na dann kommen Sie doch mit mir ins Entspannungsbecken.«
»Das klingt gut.«
»Da müssten wir dann hier entlang.«
Mit einer Frau diesen Formats im Badeanzug durch eine Wellness-Landschaft zu schlendern, hat schon wieder etwas von einem Leben im Paralleluniversum. Aber ich wollte es genau so. Ich werde mich heute von meinem bisherigen Leben verabschieden, und ich muss meine neue Richtung finden. Dafür kann die Umgebung gar nicht fremd genug sein. Alles Vertraute stört nur.
»So, da wären wir.«
Wir stehen in einem schummerigen Saal mit einem geheimnisvoll durch Unterwasserscheinwerfer ausgeleuchteten Becken. Im Wasser treiben ein paar Körper herum. Jeder einzelne davon kann es locker mit Frau Kohlmeyer aufnehmen. Oder nein, bei genauerem Hinsehen erkenne ich, dass, verloren zwischen den ganzen Fettbergen, auch ein einzelner dünner junger Mann umhertreibt. Ob er eine Kollision überleben würde?
»Na, was ist, Herr Fink? Haben Sie etwa Angst, nass zu werden, hihi? Ist auch ganz warm.«
Sie beginnt die flache Treppe ins Wasser hinunterzuwatscheln, und ich folge ihr wie ein Entenküken. Ohne ein weiteres Wort lässt sie sich rücklings ins Wasser gleiten und verlässt das Ufer mit unbekanntem Kurs. Ich mache es ihr nach, stoße mich aber heimlich in eine Richtung ab, in der sich nicht ganz so viel Treibfett tummelt. So, jetzt Augen zu und alles auf Anfang.
Oh nein, Unterwassermusik! Hätte ich mir ja gleich denken können. Ich richte mich etwas auf und sehe nach Frau Kohlmeyer. Wäre gar nicht so einfach, sie unter all den gleichförmigen Bauchbergen zu finden, wenn ich mir nicht gemerkt hätte, dass sie einen Badeanzug mit lila und rosa Blumen trägt. Zum Glück öffnet sie gerade in dem Moment, in dem ich hinschaue, kurz die Augen.
»Äh, Frau Kohlmeyer, gibts vielleicht auch ein Entspannungsbecken ohne Unterwassermusik?«
Sie lächelt mich nur breit an und treibt weiter. Klar, sie hört mich nicht. Nun gut, ich kann es zumindest mal versuchen, denke ich mir und tauche meinen Hinterkopf wieder in die Musik. Dämliches asiatisches Ding-Ding-Gedudel. Was soll das? Man könnte meinen, sie ließen Ekkehart und Ines hier die Musikauswahl treffen. Autsch. Ines. Nein, ich will nach vorne denken. Ich habe es mir fest vorgenommen.
Nach einer Weile gelingt es mir tatsächlich, die Kling-Klänge auszublenden. Gut, also, ich lasse alles hinter mir, und mein Leben beginnt neu… Ich bin ein weißes Blatt Papier. Ein reines, blendend weißes Blatt Papier, das alles versaut hat… Nein, anders. Ich bin… eine vollgeschriebene Schultafel, von der gerade alles abgewischt wird. Der bunte Kreidestaub wird mit dem Wasser davongeschwemmt,
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