Wir tun es für Geld
einfach den Couchtisch an, als würde dort eine hübsche kleine Spieluhr laufen. Die Honigmilch ist nicht mehr so heiß. Sie nimmt einen kräftigen Schluck und sieht mich wieder an.
»Bitte sag es mir ehrlich: Hast du Vanessa darum gebeten?«
»Nein.«
»Entschuldigung, ich wollte nur ganz sicher sein.«
Für einen kurzen Moment nehme ich die Hände vor das Gesicht. Ich schaffe es kaum zu sprechen.
»Nein, ich habe sie nicht darum gebeten. Das hätte ich niemals getan, niemals.«
Ich würde jetzt gerne bis in alle Zeiten weiter »niemals« sagen und dabei immer lauter werden. Stattdessen sage ich, nach einer letzten künstlich in die Länge gestreckten Atempause, das, was ich sagen muss.
»Sie hat es aber trotzdem für mich getan.«
Ich kann fast hören, wie die Worte wie Messer in Ines eindringen.
»Wie, für dich? Hat sie das gesagt?«
»Nein, aber ich bin mir sicher.«
»Sie hat mit Bernd geschlafen, damit er und ich uns trennen und…?«
»Ja.«
Ich weiß nicht sicher, ob Vanessa nur bei mir etwas wiedergutmachen wollte, oder bei uns beiden. Aber das macht jetzt auch keinen Unterschied.
Ines’ Blick wandert ins Leere. Dann sieht sie mich fest an. Die Leere ist jetzt in ihren Augen.
»Du hättest es mir nicht sagen müssen.«
Ja, wenn ich es ihr nicht gesagt hätte, wäre alles anders. Schwebte Vanessas Geist hier im Raum, würde er mich ohrfeigen.
»Ich hätte damit nicht leben können.«
Wieder steigen Tränen in ihre Augen.
»Aber vielleicht hättest du mich damit leben lassen sollen! Weißt du, was das alles für mich bedeutet? Ich führe mein Liebesleben von Vanessas Gnaden!«
In Worte gefasst hört es sich noch schlimmer an als alles, was ich vorher im Kopf hatte. Aber es ist richtig, genau so, wie sie es sagt. Was kann ich tun?
»Ines, sie hat mitbekommen, dass ich am Ende war, und wollte helfen. Es war aber ein großer Fehler.«
»Wie schön für dich, dass du einen starken großen Bruder hast. Sie wird sich künftig auf jeden stürzen, in den ich mich verliebe und der nicht Lukas Fink heißt.«
Sie beginnt hemmungslos zu weinen. In mir zieht sich alles zusammen. Ich kann nichts tun. Nicht einmal sie umarmen.
»Und den habe ich ja eh schon geheiratet. Damit Ekkehart Stöckelein-Grummler glücklich ist.«
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Ines richtig weinen sehe. Sie presst ihr Gesicht in die Sofalehne und schluchzt laut und immer wieder. Jeder Teil von mir will sie berühren, aber ich weiß, dass ich der letzte Mensch auf der Welt bin, der sie jetzt trösten kann. Und das, obwohl es keinen anderen Menschen auf der Welt gibt, der dieses weinende, verzweifelte, wunderbare Wesen mehr liebt als ich.
Beton
Als Ines das Zimmer verließ, ging sie rückwärts. Während sie einen Schritt hinter den anderen setzte und die Distanz zwischen uns Meter um Meter wuchs, sah sie mich mit Augen an, die viel mehr sagten, als ich aufnehmen konnte, bewegte sich wie jemand, der vor einem Raubtier zurückweicht und sich nur mit größter Mühe beherrscht, nicht kopflos zu flüchten, und andererseits wiederum wie jemand, der schrittweise Abschied nimmt, weil er sich unmöglich von einem Augenblick auf den anderen losreißen kann. Kurz nachdem sie schließlich aus dem Wohnzimmer verschwunden war, hörte ich eine Tür zugehen und einen Schlüssel, der sich im Schloss drehte.
Erst jetzt, etwa eine Stunde später, als ich mich aus meiner Starre gelöst, in der Küche ein paar Brote gegen den größten Hunger gegessen habe und nun ohne Ziel einfach nur nach draußen will, merke ich, dass sie nicht, wie ich dachte, ihre Zimmertür abgeschlossen hat, sondern die Wohnungstür.
Ja, tatsächlich. Sie ist weggegangen und hat von außen zugeschlossen, wie man es sonst nur tut, wenn man weiß, dass niemand in der Wohnung ist und man lange fortbleiben wird. Ich brauche einen Moment, bis ich meinen Schlüssel, den ich gerade in die Manteltasche gesteckt habe, wieder heraushole, um von innen aufzuschließen, so ungewohnt ist das. Dass es reibungslos funktioniert, eine Drehung, ein Klacken, wundert mich, obwohl es keinen Grund gibt, warum es nicht so sein sollte. Ich öffne die Tür und gehe los.
* * *
»Natürlich ist sie nicht im Blaubart.«
Noch bevor ich ganz durch den Kneipenvorhang geschlüpft bin, der die kalte Luft aus der Kneipe draußen halten soll, spreche ich diesen Satz leise vor mich hin. Einmal in die Runde geblickt, und ich sehe, dass es genau so ist. Ich bin wohl eher
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