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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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Hello Jim ' , haben sie gesagt und schienen sich offen zu freuen, mich wiederzusehen. Ich weiß, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Es gibt auch viel Hass in Vietnam. Aber ich glaube, wir können so einiges von ihnen lernen. Man muss sich mit seinen Feinden versöhnen.«
    Ich höre zu. Jim redet weiter.
    »Ich denke schon, dass man, wenn man so stark ist, dass man seinen Feinden verzeihen kann, ihnen damit die Waffe aus den Händen reißt. Zu verzeihen, das ist eine sehr aktive Handlung. Du bist derjenige, der beschließt, dass ihnen vergeben werden soll. Kim ist diejenige, die das entscheidet.«
    Es wird still. Kristin schaut mich an.
    »Das ist wohl so ungefähr genau das, was wir im Kindergarten predigen«, sagt sie.
    »Und, funktioniert es?«, will ich wissen.
    »Manchmal.«
    Kristin steht auf. Sie läuft mit einer großen braunen Plastiktüte herum, und wir kippen gehorsam unsere Schalen hinein. Sonntagmittag soll es Krebssuppe geben. Die kocht sie ausschließlich aus Schalen, beinahe wie eine Suppe auf einem Stein, wie wir es im Märchen gelesen haben, als wir noch klein waren. Manchmal glaube ich fast, dass Kristin zaubern kann.
    Ich denke an die Kinder in Kristins Kindergarten. Das ganze Viertel hier ist dorthin gegangen. Alle Kinder haben dort gelernt, dass man vergeben soll. Philip und Manny und PM, alle. Und was nützt das? Ändert das etwas an der Sache?
    »Wie viele Länder gibt es eigentlich?«, frage ich plötzlich. Niemand weiß es. Jim steht auf und verschwindet im Wohnzimmer, um in der Nationalenzyklopädie nachzuschlagen. Er ist unglaublich hartnäckig bei so etwas.
    »Alles findet man in einem Buch«, ruft er. Aber das hier kann er offensichtlich nur schwer finden, denn es dauert ungewöhnlich lange, bevor er zurückkommt.
    Vielleicht ist er bei den Sportnachrichten hängen geblieben. Ich helfe Kristin die Schalen zu flambieren. Da kommt Jim endlich zurück.
    »Das steht nicht drin«, sagt er.
    Zuerst weiß ich gar nicht, was er damit meint, weil ich schon über eine ganz andere Sache nachdenke. »Vielleicht findet Elvis ja keinen Schlafplatz«, sage ich.
    Tove Dieser Sommer ist der schlimmste in meinem Leben. Jeder Tag ist eine Qual. An jedem neuen Morgen, der dämmert, stelle ich mir die gleiche Frage: »Wie konntest du nur, Tove?«
    Jedes Mal, wenn die Sonne auf das rosa Tapetenmuster an meiner Zimmerwand scheint, weiß ich, dass ein neuer quälender Tag beginnt. Die hellen Stunden sind die schlimmsten, aber nicht einmal im Schlaf bin ich befreit. Ich wache schweißnass und heiser vom Schreien auf, gehe ins Bad, dusche und trinke Wasser, bevor ich mich wieder hinlegen und versuchen kann, erneut einzuschlafen.
    »Kim!«, schreit mein schlafender Mund. »Kim, das war nicht so gemeint! Keiner von uns wollte, dass es so kommt. Keiner von uns hätte sich vorstellen können, dass so etwas passiert. Ich verspreche es dir! Es ist einfach alles schiefgegangen. Alles wurde so unwirklich und verkehrt.«
    Mama arbeitet Tag und Nacht an irgend so einer Kampagne. Sie hat immer irgendein Haus zu verkaufen. Jetzt handelt es sich um ein Projekt auf einem unbebauten Gelände. »Das kann Geld bringen«, sagt sie. So viel, dass wir eine Woche verreisen können. »Wohin möchtest du fahren?«, fragt sie. »Ich weiß nicht«, antworte ich. Denn ich denke, das klingt besser als die Wahrheit: »Ich will nicht.«
    Ich bekomme auch ein Angebot zu jobben. In der Packabteilung einer kleineren Druckerei, mit der meine Mutter zusammenarbeitet. Ich habe da früher schon mal gejobbt und sage zu, wieder dort anzufangen. Ich glaube, es könnte nicht schlecht für mich sein, etwas zu tun zu haben, das könnte die Gedanken daran hindern, weiter im Schädel herumzuschwirren. Aber nach drei Wochen habe ich genug. Ich kann mich nicht konzentrieren. Mama wird sauer. Sie hat eine teure Reise nach Gambia gebucht. »Geld ist doch wohl nicht alles, Mama«, sage ich. Denn ich bin der Meinung, das klingt besser, als würde ich sagen, was ich tatsächlich denke: »Was zum Teufel sollen wir denn in Gambia?«
    Ich fahr zu Oma und Stig hinaus, obwohl ich vorher weiß, dass das anstrengend wird. Eines Vormittags nehme ich den Bus Nr. 167 und fühle mich den ganzen Weg über nostalgisch, denn ich denke daran, wie es war, als ich noch klein war und ganz allein zu Oma fuhr. Was für ein Abenteuer das war. Wenn man sich vorstellt, wie groß die Welt damals war! Und dass die Oma so weit weg wohnte, weit hinten mitten im Wald.
    Die dreißig

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