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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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geht. Das ist ja wohl auch kein Wunder, ich meine: eine Kindergärtnerin und ein Lehrer.
    Es gab andere, die mehr fragten. Die Polizisten mussten ja ihren Einsatz erklären. Sie mussten etwas in ihren Bericht schreiben. Sie brauchten Fakten. Sie wollten alles wissen. Sie fragten viel.
    Ich kapierte ziemlich schnell, dass Polizisten schlauer sind als man glaubt. Sie hatten schon ein ziemlich klares Bild davon, was da passiert war. Aber sie sagten es mir nie. Sie ließen mich glauben, dass es nur der liebe, nette Onkel Polizist war, der mich da aufgelesen hatte, nach einem kleinen Unglücksfall. Sie wollten, dass ich mich sicher fühle. Sie wollten, dass ich mich ihnen anvertraue. Es war schon klar, dass sie so einiges wussten. Der Berg muss ausgesehen haben wie am Morgen nach einer wüsten Party. Es genügte wahrscheinlich, sich ein wenig umzusehen, um ungefähr zu begreifen, was da vor sich gegangen war, und was der Grund für das eine und andere gewesen war.
    Aber ich sagte nichts.
    Ich petzte nicht.
    Sie stellten Fragen.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Sie wiederholten ihre Fragen.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Ich erklärte, dass ich ziemlich betrunken gewesen war, dass alle blau wie die Haubitzen gewesen waren, und dass uns deshalb so einiges schwergefallen war. Ich sagte, dass ich allein herumgeirrt und nach Holz gesucht hätte. Dass ich in der Dunkelheit Holz geschlagen hätte, und da, als ich mit dem Arm voll Holz auf dem Rückweg gewesen war, ja, da bin ich über eine Wurzel gefallen und den Berg hinuntergepurzelt.
    »Ich hatte das Messer in einer Hand und bin den Berg hinuntergedonnert. Das Holz flog in alle Richtungen, und das Messer grub sich in meinen Bauch«, erklärte ich.
    »Hast du Holz mit einem Messer geschlagen?«, wunderten sie sich.
    Ich nickte nur.
    Ich sah, dass sie mir kein Wort glaubten.
    War das eine Heldentat, nicht zu petzen?
    Oder war es so, wie Criz sagt: Dass ich es aus ganz anderen (ja, vielleicht aus egoistischen) Gründen getan habe?
    Um sie am Haken zu haben?
    Jetzt, wo sich alles zurechtlegt, wo ich langsam das, was passiert ist, ein wenig aus der Distanz betrachten kann, ohne die ganze Zeit gefühlsmäßig engagiert zu sein, bin ich geneigt, ihr zuzustimmen.
    Ja, Criz, ich glaube, du hast recht.
    Ab und zu denke ich an Philip. Ich denke oft an Philip. Nicht nur ab und zu.
    Warum habe ich dich da auf dem Berg nicht gesehen? Warst du derjenige, der mich gerettet hat? Warum hast du das getan?
    Was waren deine Gründe?
    Als ich nach Hause komme, herrscht dort Krieg. Das ganze Wohnzimmer schwimmt in Blut. Menschen schreien, Leute rennen herum. Frauen und Männer weinen herzzerreißend. Das sind schreckliche Szenen. Mit die schlimmsten, die ich gesehen habe. Abgerissene Arme und Beine liegen verstreut herum. Blutüberströmte Menschen werden fortgetragen. Ich weiche geschockt zurück.
    »Was ist passiert?«, stöhne ich.
    »Ein neues Selbstmordattentat«, sagt Jim. »Mitten in Jerusalem.«
    Ich bleibe in der Tür zum Wohnzimmer stehen und sehe noch den Rest der Sonderberichterstattung. Ich bekomme mit, dass zwei palästinensische Terroristen sich selbst auf einem Marktplatz in die Luft gesprengt haben. Man weiß noch nicht, wie viele Tote es gibt. Nur, dass es viele sind. Kristin hält sich die Hand vor den Mund, als wollte sie einen Schrei unterdrücken.
    »Ich begreife nicht, was die da unten eigentlich machen«, sage ich. »Die haben doch den gleichen Gott, oder? Ist es nicht eigentlich fast die gleiche Religion?«
    »Doch, ja«, bestätigt Jim. »Und das ist wohl gerade der Grund. Sie streiten sich darum, wessen Gott es in erster Linie ist. Wer mehr Recht auf die heiligen Stätten hat, die Juden oder die Palästinenser.«
    »Man muss sich fragen, was aus der Menschlichkeit werden soll«, sagt Kristin und nimmt die Hand vom Mund. »Das Schlimmste«, fährt Jim fort, »sind nicht diese schrecklichen Attentate. Das Schlimmste kommt noch. In ein paar Stunden folgt die israelische Rache. Und dann wird schonungslos zurückgeschlagen.«
    »Mein Gott«, sage ich.
    Es gibt keine bösen Menschen. Es gibt aber auch keine guten Menschen. Es gibt nur Menschen, die sowohl gut als auch schlecht sind. Bei einigen sind die guten, hellen Seiten am besten zu sehen. Bei anderen scheint das Dunkle durch. Bei einigen wenigen hat es die Macht übernommen und einen Schatten über das Helle geworfen. Was führt dazu, dass das Helle und das Dunkle so wechseln können? Im gleichen Menschen. Ist es das Leben? Ist

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