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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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das etwas, was wir erben? Ist das etwas, an dem wir etwas verändern können?
    Ich weiß es nicht. Woher soll ich das auch alles wissen!
    Abends frage ich Kristin, wie es zwischen ihr und Jim steht. Sie weist alles von sich. Tut so, als wüsste sie nicht, wovon ich rede.
    »Schließlich streitet ihr euch jeden Tag«, sage ich. »Wirklich, tun wir das?«, fragt sie. Sie klingt aufrichtig verwundert.
    »Wahrscheinlich macht das nur den Eindruck«, sagt sie. »Wir haben alle beide so viel zu tun. Du weißt, wie das im Augenblick ist.«
    Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Weiß ich etwas davon? Davon, wie es im Augenblick ist? Ich habe da meine Zweifel. Ich schüttle meinen armen Kopf. »Nein«, sage ich. »Ich kapiere so gut wie gar nichts.« Ich lege eine Spur aus. Ohne dass ich wirklich darüber nachdenke, platziere ich den Leitfaden dort, wo ihr meines Wissens nach suchen werdet. Und als mir klar wird, was ich da mache, muss ich mir eingestehen, dass ich mich damit schon eine ganze Weile beschäftigt habe. Ich weiß, dass es seine Zeit dauern wird. Es braucht seine Zeit. Ich bin scheu wie ein Vogel, der sein Nest baut. Aber ich baue kein Nest. Ich führe euch vorsichtig dorthin, wo ich euch haben will. Wo ihr euch nach meinem Plan wieder treffen sollt.
    Daran denke ich, als ich die ausgebleichten Krebsschalen in die grüne Komposttonne kippe. Schon bald wird Erde aus ihnen werden. Das finde ich irgendwie sonderbar. Eines Tages werden wir auch hier in der Erde liegen, Manny, Pia-Maria, Criz, Tove, Philip und ich. Wohin werden dann alle Taten gehen? Die guten und die schlechten. Welche Rolle werden sie dann spielen? Und welche spielen sie jetzt?
    Jim kommt mit der Bohrmaschine heraus. Er mustert die grüne Komposttonne, klopft auf die Wände. »Ich denke, das ist kein Problem«, sagt er.
    Er geht in die Hocke, setzt den Bohrer an und bohrt einige Zentimeter über dem Boden ein Loch. »That's it«, sagt er. »Jetzt brauchen wir nur noch eine Säge.«
    »Und wenn Kristin nun stinksauer wird?«, frage ich. Aber Jim schüttelt den Kopf und brummt etwas.
    Ich schaue in den Garten. Elvis. ist nicht zu sehen. »Wie sieht die Welt für Tiere, für Vögel aus? Was ist der Unterschied zwischen ihnen und uns?«, frage ich. Jim wischt sich die Hände an der Hose ab, sucht mit einer Hand in der Werkzeugkiste.
    »Die leben ein primitives Leben«, sagt er. »Die haben keine Gefühle oder Ziele für ihr Leben, die werden von Instinkten gelenkt, von ihren Trieben.«
    »Woher weiß man das?«
    »Das glauben wir zumindest. Die Wissenschaft ist nur ein Provisorium. Die Wahrheit verändert sich die ganze Zeit, je nachdem, wie sich die Grenzen unseres Wissens ausdehnen.«
    Ich höre zu. Meine Gedanken drehen sich.
    »Das Leben ist ein Puzzle, Kim. Wir sind dabei, es zu legen. Und es fehlen noch so viele Teilchen. Wir können das richtige Bild nicht sehen. Wahrscheinlich werden wir es nie können, da wir ja selbst Teil des Bildes sind.« Ich denke über diese provisorische Wissenschaft nach. Wenn nun das Bild, das wir von dem Dasein haben, ganz falsch ist.
    »Manchmal möchte ich wissen, ob nicht die Dichter die wahren Wissenschaftler sind«, sagt Jim. «Die können fühlen, wie die Dinge zusammenhängen. Sie müssen nicht alles wissen.«
    Er tauscht den Bohrer gegen ein längliches Sägeblatt aus und fängt an zu sägen. Ich muss meine Arme um die Tonne schlingen, um sie an Ort und Stelle zu halten. Nach einer Weile fällt ein viereckiges Stück heraus. »Bravo«, sage ich.
    Ich knie mich hin und schiebe die Hand in die Öffnung. Ziehe einige Zweige und Blätter heraus, damit es einfacher ist, hineinzukommen.
    »Glaubst du, dass ihm das gefällt?«, fragt Jim. »Wir werden sehen«, sage ich.
    Ich stehe in meinem Zimmer am Fenster und schaue zum Einkaufszentrum hinüber. Draußen ist es fast menschenleer. Ich erinnere mich an einen anderen Tag, an den sonnigen Märztag, als Philip zu einem Bussard wurde. Ich fand dich damals etwas kindisch, Philip. Aber das war, bevor mir klar wurde, wie viele Seiten du hast. Wie viele Philips es gibt. Wie lange ist das her? Ich weiß es nicht. Weiß nur, dass es lange her ist. Weiß nur, dass die Zeit vorbei ist.
    Es ist windig, natürlich. Soweit ist es die gleiche, alte Welt wie damals. Ein paar Elstern kommen auf dem Wind angeritten, sie sind auf dem Weg zu den Linden am Astrakanvägen. Sind das immer die gleichen Elstern, die sich dort aufhalten, oder kommen immer neue? Denn es werden doch

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