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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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weg.
    Graukittels Stimme klang völlig beherrscht, fast freundlich. „Lasst mich jetzt endlich hier raus!“
    „Nein!“ Töffel hatte sich als einziger von uns nicht von der Stelle gerührt. „Zuerst musst du den Vertrag unterschreiben!“
    „Das werde ich nicht! Ihr werdet die Kellertür öffnen und dann vergessen wir die ganze Sache!“ Graukittel musste sehr laut sprechen. Unsere notdürftige Schallisolierung war gar nicht so übel.
    „Der Vertrag!“, beharrte Töffel.
    Graukittel verlor plötzlich die Beherrschung. Er trommelte von innen gegen das verbarrikadierte Fenster. „Du mieser, kleiner Schwanzlutscher!“, brüllte er. „Ich reiße dir deine Ohren ab! Du Scheißerchen!“
    Töffel bebte am ganzen Körper. „Ich bringe ihn um!“, flüsterte er immer wieder. „Ich bringe ihn um!“ Der Umschlag mit dem Vertrag entglitt seinen Fingern. Dann schlug er die Hände vors Gesicht und weinte.
    „Hauen wir ab!“, beschloss Hilko.

    Zum ersten Mal seit den Tagen der Grundschule wünschte ich mir, der Unterricht würde endlos dauern. Nach der Schule mussten wir zurück auf den Bauernhof, zurück zu Graukittel und etwas unternehmen. Ich fühlte mich seltsam aufgekratzt, in der vergangenen Nacht hatte ich nur ein paar Stunden Schlaf gefunden. Ich sah zu Töffel, sein Gesicht war von fiebrig wirkenden, roten Flecken überzogen. Er starrte die Tafel an und ich war davon überzeugt, dass er nichts von dem Text mitbekam, den der Englischlehrer dort kritzelte.
    „Wir müssen das Arschloch heute rauslassen“, flüsterte mir Leo zu.
    „Aber wie?“, gab ich zurück. „Darüber haben wir nicht nachgedacht. Wie der drauf ist, wird er uns fertigmachen.“
    „Wir haben die Fotos“, erwiderte Leo.
    „Be quiet!“, tönte es von vorn. Heute trug der Englischlehrer seine braune Kordjacke.

    Am liebsten hätte ich mich gedrückt, wäre zu gern plötzlich schwer krank geworden, so dass ich unmöglich an diesem Nachmittag dabei sein konnte. Aber nichts dergleichen geschah und ich durfte meine Freunde auf keinen Fall im Stich lassen. Gegen 16 Uhr näherten wir uns dem Bauernhof. Die Sonne schien, es war warm, aber nicht so warm, dass man schnell ins Schwitzen kam. Auf der nahen Autobahn wurde gearbeitet, ein leichter Wind trieb das Aroma von heißem Teer herüber. Fahrzeuge stauten sich vor der Baustelle.
    Hilko tat weiterhin so, als hätte er die Lage im Griff. Die Krücke schien er kaum noch zu brauchen. „Ehe wir ihn rauslassen, erzählen wir ihm von den Fotos ...“
    „Und dass wir genau wissen, was für ein Arschloch er ist“, unterbrach ihn Leo.
    Hilko warf Markus einen fragenden Blick zu. „Ich kann die Fotos frühestens morgen entwickeln“, sagte Markus. „Mein Bruder hockt die ganze Zeit in seiner Dunkelkammer.“
    Die grauen Dächer des Bauernhofs tauchten hinter den Bäumen auf.
    „Mein Vertrag! Er muss meinen Vertrag unterschreiben.“ Töffel sah keinen von uns direkt an.
    „Den wird er niemals unterschreiben“, gab Hilko zurück. „Wir haben ihn aber trotzdem in der Hand.“
    Ein kurzer Ruf! Jenseits der Büsche.
    Ich erstarrte.
    „Verdammt! In Deckung!“ Hilko schubste mich. Beinahe wäre ich gestolpert.
    Vorsichtig wagte sich Markus nach vorn und spähte zwischen den Zweigen hindurch. „Es ist der Bauer. Er ist mit seinem Gehilfen bei der Scheune.“
    „Was jetzt?“ Es kostete mich ungeheure Überwindung, nicht einfach davon zu laufen.
    Hilko schob sich an mir vorbei, ich folgte ihm. Sorgsam darauf bedacht, nicht die Deckung der hohen Büsche und Bäume zu verlassen. Vor der Scheune stand der Traktor des Bauern. Von der Ladefläche des Anhängers warf er seinem Knecht Heuballen zu. Ich traute meinen Augen nicht. Das Kellerfenster mit dem gelben Ölfass war nur wenige Meter von ihnen entfernt.
    „Sie haben ihn nicht entdeckt“, murmelte Hilko. „Er hockt da unten und hält einfach die Klappe.“
    „Aber er ist schon die ganze Nacht da unten“, erwiderte ich ungläubig. „Vielleicht ist er auch irgendwie rausgekommen.“
    Hilko schüttelte den Kopf, ohne die Männer an der Scheune aus den Augen zu lassen. „Die Riegel halten. Er steckt noch in dem Loch und hat Muffe, entdeckt zu werden. Wenn wir ihn rauslassen, wird er handzahm sein.“
    Eine halbe Stunde später verschwand der Bauer endlich. Sein Traktor bog auf den Feldweg und wir rannten auf das Kellerfenster zu. Hilko folgte uns humpelnd. Wir rückten das Metallfass zur Seite. Ich entfernte das Brett und wich zurück. Kein Laut

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