Wir waren unsterblich (German Edition)
sehen?“ Leo schirmte seine Augen mit der Hand vor dem Sonnenlicht ab und verfolgte den Kurs der einmotorigen Maschine.
Niemand antwortete ihm. Markus öffnete die Wagentür und zögerte. „Kommt einer von euch mit?“
Ich lief zur Beifahrertür und stieg ein. In Graukittels Kadett roch es nach Reinigungsmitteln und frischer Politur. Nicht ein Staubkrümel befand sich auf dem Armaturenbrett. Das Lenkrad war mit einem weißen Kunstfell überzogen. Auf der Rückbank entdeckte ich einen grauen Hut. Ich reichte ihn Markus. Mit Graukittels Kopfbedeckung würde er gleich wesentlich älter wirken. Zumindest aus der Ferne.
Markus startete den Motor und legte den ersten Gang ein. Der Opel machte einen Satz nach vorn und ich schlug mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe. Markus sah mich unter dem Hut mit einem entschuldigenden Lächeln an. Hinter seinem rechten Ohr entdeckte ich ein Rinnsal aus getrocknetem Blut.
Der zweite Fahrversuch klappte etwas besser. Markus lenkte den Opel im Schritttempo auf die Hofausfahrt zu, rammte dabei einen verrosteten Farbeimer und erreichte endlich den Feldweg. Er legte den zweiten Gang ein, der Wagen beschleunigte auf dreißig Stundenkilometer.
Markus kuppelte aus, ließ den Kadett im Leerlauf auf die Einmündung zur Schnellstraße rollen und wartete auf eine Lücke im vorbeirauschenden Verkehr. Unmittelbar hinter einem Lastwagen ordnete er sich ein.
Als wir in die Ahornstraße einbogen, duckte ich mich. Neben mir ragte ein Hochhaus auf, ich sah Menschen, die sich über die Brüstung der Balkone lehnten. Markus bog in die erste Seitenstraße und hielt an deren Ende in einer Parkbucht zwischen zwei Autos. Er nahm den Hut ab und sah in den Rückspiegel. Ich öffnete die Beifahrertür. Nach einigen Schritten wandte ich mich um und wartete auf Markus. Er schloss den Wagen ab und kam auf mich zu. Niemand schien uns bemerkt zu haben.
Ein grünes Moped raste knatternd um die Ecke. Der Fahrer brachte es in eine gewagte Schräglage. Dabei hielt er den Blick starr geradeaus und lenkte lässig mit der rechten Hand. Die linke hielt eine Zigarette.
Der irre Charlie. Nichts an ihm ließ erkennen, ob er uns überhaupt wahrgenommen hatte. In seiner Jacke steckte immer ein Totschläger.
„Er ist wieder wach! Wir haben vor ein paar Minuten gehorcht.“ Leo deutete auf das Kellerloch. Von dort drang ein fernes Pochen.
Ich verspürte Panik ... und Erleichterung. Insgeheim hatte ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Zwar hatte Töffel den Puls des Hausmeisters fühlen können, aber vielleicht starb der Mann trotzdem. Verreckte an irgendwelchen inneren Blutungen oder so.
Weitere Schläge aus dem Keller folgten. Graukittel warf sich dort unten gegen die Tür. Nach einer Weile gab er auf.
„Warum brüllt der Typ nicht?“, wunderte sich Markus.
„Weil er da unten von keinem Erwachsenen erwischt werden will.“ Hilkos Stimme klang völlig ruhig, er stieß einen missglückten Ring aus Tabaksqualm aus. Auch Töffel rauchte. Er hatte zur allgemeinen Verwunderung eine Schachtel Reval aus seiner Jacke gekramt. Jetzt hing die filterlose Zigarette ausgefranst und nass zwischen seinen Lippen. Töffel inhalierte nicht, er paffte hektisch und spuckte Tabakkrümel. Er zerdrückte die Kippe auf einem Stein und stand auf. Wortlos schritt er auf das alte Gebäude zu. Vor dem Kellerfenster ging er in die Hocke und holte einen Briefumschlag aus seiner Jackentasche hervor. Zweimal pochte er gegen das Brett, dann drückte er seine Stirn gegen das Holz. „He!“, hörte ich ihn flüstern. „He! Eugen!“
Graukittel gab keine Antwort.
Wir standen auf und folgten Töffel. Seine Hand umklammerte noch immer den Briefumschlag.
„Ich habe einen Vertrag für das Arschloch.“ Töffels Augen waren riesengroß. „Er wird ihn unterschreiben. Oder er wird da unten vergammeln.“ Töffel schlug gegen das Brett vor dem Fenster. „Hast du gehört, Eugäähn ! DU WIRST UNTERSCHREIBEN!!!“, brüllte er mit überschnappender Stimme. Eugen schwieg.
„Was steht in dem Vertrag?“, fragte Leo.
„Dass er mich in Zukunft zufrieden lässt! Dass er nie mehr in unsere Wohnung kommt! Dass er in Zukunft niemanden mehr begrapscht!“ Töffel schlug erneut gegen das Brett. So fest, dass ich befürchtete, er würde sich jeden Knochen in seiner Hand brechen.
„Ein Vertrag? Das ist doch bescheuert!“, meinte Markus.
„Ihr da draußen!“
Wir zuckten zusammen. Markus kroch wie ein Krebs rücklings von dem Kellerfenster
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