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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gerlach
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Generäle in den vergangenen Jahrzehnten eine Rolle als Wächter im Hintergrund eingenommen: Mubarak hat sie aus der direkten Politik verdrängt, wichtige Entscheidungen mussten aber mit der Armeeführung abgesprochen werden. Viele der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz glauben oder hoffen zumindest, dass die Armee auf Distanz zum Regime gegangen ist. Aber wer weiß das schon so genau?
    Am Nachmittag erzittert der Platz von einem immer lauter werdenden Donnern. Die Demonstranten krümmen sich zusammen, so laut ist es. Besorgt schauen sie zum Himmel. Da nähern sich mit rasender Geschwindigkeit mehrere Kampfjets; im Tiefflug über der Innenstadt. Das war es dann wohl! Tage später wird bekannt, dass Mubarak seiner Armee den Befehl gab, zu bombardieren. Verteidigungsminister Hussein al Tantawi gab den Befehl jedoch nicht weiter. Die Demonstranten wissen das nicht. Sie verstehen die Tiefflieger als weiteres Mittel, sie kleinzukriegen.
    |34| Montag   – Das Land spaltet sich
31.   Januar 2011
    Die Regierung setzt immer ausgeklügeltere Methoden ein, um den Protest einzuschüchtern. In der Nacht wurde um den Tahrir-Platz ein weiterer Ring von Stacheldraht und Panzern gezogen. Die Soldaten sitzen mit Maschinenpistolen im Anschlag. Sie verziehen keine Miene, lächeln nicht einmal mehr, wie in den ersten Tagen. Was wird passieren? Am Zugang zum Platz stehen Männer und beschimpfen die heranströmenden Demonstranten: »Es reicht! Ich sitze jede Nacht in meiner Straße und muss mein Haus gegen Gangster verteidigen. Es gibt keine Sicherheit mehr! Hört auf, uns mit euren Demonstrationen zu terrorisieren!« Manche Demonstranten beginnen, mit ihnen zu diskutieren, andere halten sich die Ohren zu und gehen einfach weiter. »Wir wissen, dass die Regierung alles tut, um uns einzuschüchtern. Sie schicken Agenten, die Schlägereien anfangen, andere provozieren die Armee. Im Staatsfernsehen wurde sogar gemeldet, dass sich die Demonstrationen aufgelöst haben«, erzählt einer, der sich mit der Propaganda der Regierung auskennt: Wael El Leithy ist Journalist der regierungsnahen
Al Ahram
. Seit vergangenem Freitag führt er ein Doppelleben. Er pendelt zwischen Tahrir-Platz und Redaktion.
    Trotz aller Einschüchterung wird die Menge auf dem Platz immer größer und immer bunter: Da ist Abdelrahman Munir, 22, er arbeitet in einer Chemiefabrik. »Eigentlich ist das kein schlechter Job. Oder sagen wir einmal so: Immerhin habe ich einen. Ich verdiene im Monat rund 100   Euro. Das ist okay, kann man sagen: Aber wenn es so weitergeht, werde ich erst im Alter von 55 heiraten können. So lange wird es dauern, bis ich genug Geld zurückgelegt habe, dass ich mir eine Wohnung leisten kann«, sagt der Mann im karierten Hemd. Ein paar Meter weiter steht Moez Abel und bietet Datteln an: Der Tahrir-Platz ist ein gastfreundlicher Ort. Viele bringen Essen |35| und verteilen es an die Demonstranten. Moez trägt einen Kopfverband: »Von letzter Woche noch. Da hat mich ein Stein getroffen.« Er studiert Ingenieurwissenschaften und auch er ist hier wegen seiner Zukunft. Seine Träume sind nicht übertrieben: »Ich will eigentlich nur das ganz Normale: einen Job, eine Frau und zwei Kinder. Dazu eine Wohnung.« Und politisch? »Ich will Demokratie und freie Wahlen. Der Islam muss aber weiter eine wichtige Rolle spielen. Wir würden niemals einen Präsidenten akzeptieren, der nicht Muslim ist und nicht die Scharia anwendet«, sagt er. »Eine Frau kann in einem muslimischen Land nicht regieren. Allerdings bedeutet das nicht, dass wir gegen Frauen in der Politik sind. Schließlich hat jeder Mann eine Mutter und tut ja im Allgemeinen, was sie will. So ist es auch bei Politikern und die Stimme der Frauen wird so immer geehrt. Ich bin Liberaler. Ich will freie Wahlen und   …«, fügt er noch hinzu. Ahmed Akil wiegt den Kopf. Nein, das sieht er nicht so. Dabei gehört der Apotheker zur Jugendorganisation der
Muslimbruderschaft
. Natürlich ist er religiös, und zwar sehr: »Ich bin hier, weil ich ein Land möchte, in dem man überhaupt die Wahl hat. Wir wollen Gerechtigkeit, Demokratie und dass das Volk entscheiden soll: Es soll einen fairen Wettbewerb zwischen den politischen Kräften geben. Wenn dann eine Frau gewählt wird, dann ist das so«, sagt er. Die Behauptung, dass die Ägypter noch nicht reif sind für freie Wahlen, findet er falsch: »In den letzten Tagen haben wir eine so rasante Entwicklung durchgemacht. Das zeigt doch, dass die Menschen ein

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