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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gerlach
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politisches Bewusstsein haben und wissen, was sie wollen. Sonst gäbe es dies hier nicht!« Er deutet auf den Platz vor sich. Ein paar Meter weiter sitzt eine Frau mit langem Haar. Sie trägt Röhrenjeans und ein Shirt mit weitem Ausschnitt. Dina Mohammed ist 30 und Ärztin. Sie kommt aus Ägypten, lebt aber in Beirut und arbeitet dort an der Universität. Sie hat ein gutes Leben, Freunde, eine schicke Wohnung. Als dann die Revolte in Ägypten losging, |36| klebte sie am Fernseher. Am nächsten Tag bat sie ihren Chef um Urlaub und kaufte sich ein Ticket: »Es macht mich unglaublich stolz, dass wir Ägypter zu so etwas in der Lage sind und da wollte ich natürlich dabei sein«, sagt sie. Um sie herum liegen noch die Spuren der Kämpfe der ersten Tage. Steine, die aus dem Pflaster herausgebrochen wurden. Viele haben Tücher neben sich liegen, Zwiebeln und Zitronen. Gegen das Tränengas helfe eine Zwiebel im Halstuch am besten, erklärte man ihr bei ihrer Ankunft. Auch solle sie das Gas auf jeden Fall erst mit Cola aus dem Gesicht waschen, bevor sie mit Wasser die Augen spüle. Diese Tipps kommen von den Jugendlichen aus Tunesien. »Das Besondere hier auf dem Platz ist, dass es keine Unterschiede zwischen den Schichten gibt. Die Leute respektieren sich. Es ist so, wie es immer sein sollte«, sagt sie. Besonders ist auch, dass sie mit ihrem Ausschnitt neben Frauen mit langem Mantel und Kopftuch sitzt und dass diese Unterschiede niemanden zu interessieren scheinen. In diesen Tagen bekommen die Demonstranten oft die Frage nach dem Islam in der Politik gestellt. Wie stellen sie sich ihr Land in der Zukunft vor? »Die Leute schicken die Journalisten dann zu mir. Erst dachte ich, dass sie das machen, weil ich gut Englisch kann. Aber in Wirklichkeit tun sie es, weil sie glauben, dass ich Christin bin. Sie kennen einfach keine Musliminnen wie mich«, sagt sie und schüttelt demonstrativ ihr langes Haar. »Da ist es doch gut, wenn wir uns kennenlernen«, sagt sie. Ihre Religion sei ihr schon wichtig, sagt sie dann: »Ich bete und ich will, dass unser Präsident gottesfürchtig ist und eben kein Verbrecher. Zugleich will ich aber nicht, dass den Menschen im Namen des Islam Vorschriften gemacht werden, wie sie sich kleiden sollen und was sie trinken«, sagt sie.
     
    »Keine Angst, es wird alles gut!«, erklärt Abdel Athim Hamad. Der 6 1-Jährige ist ein kritischer Kopf. Mit strahlender Laune sitzt er hinter seinem Schreibtisch. Er ist leitender Redakteur |37| der Regierungszeitung
Al Ahram
und gehört zu den Befürwortern der Revolution innerhalb der Zeitung. Er ist optimistisch. Dass die Armee auf die Demonstranten schießen könnte, so wie es die chinesische am Platz des Himmlischen Friedens tat, hält er für unwahrscheinlich. »Wir sind viel stärker in die Weltgemeinschaft eingebunden. Wir können uns das nicht leisten«, sagt Hamad. Mubaraks Strategie sei, die Proteste einzuschüchtern und auszusitzen. Wenn das nicht gelinge, werde er die Macht abgeben. Dazu müsse die Familie Mubarak jedoch erst ihr Geld in Sicherheit bringen. 70   Milliarden Dollar soll er besitzen, diese Zahl veröffentlichten internationale Zeitungen heute. Und die Armee? Wie sehr die Generäle Mubarak drängten zu gehen, hänge stark vom Verhalten des Westens ab. In Brüssel treffen sich heute die Außenminister Europas und auch die USA beraten, welche Haltung sie einnehmen sollen: Mubarak fallen lassen oder doch stützen? Wenn der Westen Mubarak die Treue hält, verliert er sein Ansehen als Verteidiger der Demokratie und muss sich den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassen. Nicht nur das, sie würden ihre Länder zur Zielscheibe des arabischen Hasses machen und das ist in Zeiten des Terrors keine Kleinigkeit. Andererseits würde der Sturz Mubaraks weitere Revolten nach sich ziehen. Schon jetzt demonstriert die Jugend im Jemen und auch in Saudi Arabien brodelt es.
    An diesem Abend schlägt der Hausmeister unseres Hauses vor, mit einem Minibus Männer vom Land zu holen. Er brauche dringend Verstärkung, um das Haus zu schützen. Auch brauche er bessere Waffen. Seine Augen glitzern: Für viele junge Männer geht in diesen Nächten ein Traum in Erfüllung. Sie sind die Chefs der Straßen. Ab Nachmittag, wenn die Ausgangssperre beginnt, hat hier niemand mehr etwas verloren außer ihnen.
    |38| Der Dienstag der Millionen
1.   Februar 2011
    »Kommt herbei, jetzt ist es zwei Uhr und wir sind zwei Millionen, um fünf sind wir fünf Millionen und dann fegen

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