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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gerlach
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wollen sich nicht unterstellen lassen, ihr Land weniger zu lieben. Im Gegenteil: »Es ist die Liebe zu meinem Land, die mich hergebracht hat,« sagt die Ingenieurin.
    Seit die Gewalt vorbei ist, ist die Revolte auch wieder viel weiblicher geworden. Von Anfang an waren viele Frauen bei den Demos dabei. Auch, weil der Protest bei Facebook seinen Ausgangspunkt hatte, einem sehr weiblichen Medium. Als er |62| dann auf die Straße verlegt wurde, kamen viele Mädchen mit. Manche allerdings mussten noch ein bisschen warten, so wie Rawda Fuad. Die 2 7-jährige Journalistin steht mit einer ins Gesicht geschminkten Fahne auf den Tahrir-Platz und grinst übers ganze Gesicht. Endlich ist sie hier. »Ich habe mich von Anfang an am Protest beteiligt, allerdings nur auf Facebook. Meine Eltern haben mich nicht auf die Straße gelassen, weil sie Angst hatten. Ich habe lange, lange, lange diskutiert und nachdem dann gestern Abend Wael Ghoneim gesprochen hat, da habe ich endlich die Erlaubnis bekommen«, sagt sie und grinst: »Im neuen Ägypten wird sich das auch ändern, da werden Eltern ihren Töchtern nicht mehr verbieten zu demonstrieren«, sagt sie. Parallel zur Revolution auf der Straße wird Ägypten in diesen Tagen von einer zweiten Revolte erschüttert und diese wird das Land mindestens so verändern wie das, was auf dem Tahrir passiert: Rawda Fuad ist eine von einer Million junger Frauen, die in diesen Tagen mit ihren Eltern streiten und sich durchsetzen.
    Über den Platz ist ein Transparent gespannt, das Bilder von Märtyrern zeigt. Junge Menschen, die während der Revolte gestorben sind. 297 sollen es nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch seit dem 28.   Februar sein. Das Bild einer jungen Frau mit wilden Locken sticht ins Auge. Sally Zahran. Allerdings gibt es eine Diskussion, ob Sally es verdient hat, den Titel Märtyrerin zu tragen, denn die 2 3-jährige P R-Frau starb nicht während einer Demonstration. Sie fiel vom Balkon. Sie hatte sich mit ihrer Mutter tagelang gestritten, weil sie demonstrieren wollte, trat in Hungerstreik und schließlich durfte sie am »Freitag der Wut« gehen. »Sie kam schnell wieder und war völlig fertig. Hustete, röchelte. Ihre Haut und ihr Haar waren gelb vom Tränengas«, erzählt ihre Mutter: »Sie wollte sich nur schnell umziehen und wieder los. Da habe ich als Mutter natürlich die Tür zugesperrt. Sie hat gesagt, dass sie dann vom |63| Balkon springen würde. Sie ging auch zum Balkon. Dort wurde sie ohnmächtig und ist gefallen.« Aus dem 9.   Stock. »Es ist Quatsch zu behaupten, dass Sally keine Märtyrerin ist!«, sagt Mandy Haraf, eine der Demonstrantinnen: »Sie hat ihr Leben gelassen, weil sie an die Revolution geglaubt hat und weil die Polizei sie mit ihrem abgelaufenen Tränengas vergiftet hat. Allah nehme sich ihrer Seele an!« Es sei eine typische Männereinstellung, dass sie anfingen Märtyrer in echte und falsche einzuteilen. Insgesamt können sie aber nicht klagen, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist erstaunlich hier auf dem Platz. »Ich muss zugeben, dass ich mein Bild über Frauen in den letzten Tagen verändert habe«, gesteht Munir Assad. Der Buchhalter kommt aus einem der ärmeren Viertel Kairos: »Ich habe Frauen nicht zugetraut, dass sie hier so eine Rolle spielen. Ich habe immer gedacht, dass Mädchen sich eigentlich ausschließlich fürs Heiraten und Wohnungseinrichtung interessieren. Das ist alles, worüber ich mich bisher mit Frauen unterhalten habe«, sagt er. »Da kann man mal sehen, wie wenig diese Männer eigentlich von uns wissen. Schön, dass wir darüber gesprochen haben«, erwidert Mandy und steckt Munir die Zunge heraus.
    Neben ihnen in der Sonne sitzt Abeer Faruk. Die 3 0-jährige Anwältin hält ein kleines Transparent – »Mubarak hau ab!«, daneben eine ägyptische Fahne. Unter ihrer Leninmütze quellen dunkle Locken hervor. Sie gehört zu den Camperinnen vom Tahrir-Platz. Ihre kleine Tochter hat sie derweil bei ihrer Mutter untergebracht. Alle zwei Tage fährt sie hin, die Kleine zu besuchen. »Meine Mutter findet das okay!«, sagt Abeer knapp. Natürlich gibt es Gerede. Nicht nur über ihre Mutterpflichten. Die Vorstellung, dass da auf dem Tahrir-Platz Männer und Frauen Seite an Seite übernachten ist für eine konservative Gesellschaft wie Ägypten schwer zu ertragen. Da könnte ja alles Mögliche passieren! Auch in dieser Hinsicht erschüttert der Tahrir-Platz die Nation.
    |64| Nicht nur in Kairo wird

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