Wir wollen Freiheit
Nacht nur am Fernseher. Am Tag zuvor bin ich nach Deutschland geflogen, um die Kinder abzuholen. Das Flugzeug von Frankfurt nach Kairo am nächsten Tag ist voll: voller Ägypter, die in Deutschland wohnen. Sie tragen Fahnen, manche sind sogar in schwarz-weiß-rot geschminkt: »Als ich das gestern gesehen habe, habe ich mir ein Ticket gebucht«, sagt eine Frau mit rosa Kopftuch zu mir. Leider habe ich sie nicht nach ihrem Namen gefragt. Schade, denn was sie gesagt hat, hat mich seither beschäftigt: »Ich bin so stolz auf mein Land. All die Jahre haben die Menschen über Ägypter gelästert, dass sie nichts auf die Reihe kriegen. Jetzt haben wir der ganzen Welt gezeigt, dass wir aufstehen können. Ich bin sicher, das wird Auswirkungen haben: auch für das Zusammenleben der Menschen zwischen Orient und Okzident!«, sagt sie. »Bisher hattet ihr im Westen vor allem ein Datum im Kopf, wenn es um die islamische Welt ging. Den 11. September 2001. Das könnt ihr löschen. Der 25. Januar 2011 ist das Datum, mit dem wir uns in Zukunft identifizieren. Nicht Usama Bin Laden, Wael Ghoneim ist unser Held!« Vom Flughafen will sie direkt zum Tahrir-Platz fahren. Feiern mit allen anderen.
|70| 2. Wie kam es zur Revolution?
K napp zwei Monate später, am 6. April 2011, gibt es in Kairo eine große Party. Die Bewegung des
6. April
feiert ihren 3. Geburtstag. »Ihr seid die Helden der Revolution!«, ruft Mohammed al Baltagi von der
Muslimbruderschaft
den Jugendlichen zu. Es werden Sketche aufgeführt und dann kommt endlich Revolutionssänger Ibrahim Adel auf die Bühne des großen Saales der Journalistengewerkschaft. Als er auf der Gitarre losschrummelt und »Weil das mein Land ist« anstimmt, fallen sich die Jugendlichen in die Arme, tanzen und singen aus voller Kehle mit. Später in einem Café gibt es für den harten Kern der Bewegung eine riesige Schokoladentorte. Köstlich. »Letztes Jahr am 6. April, da saßen viele von uns gerade im Gefängnis«, erzählt einer der jungen Männer mit vollem Mund. »Dieses Jahr sind wir draußen und dafür sitzen die anderen im Gefängnis.« Er deutet mit der Plastikgabel diffus in die Luft. Gemeint ist die Ex-Regierung. »Wahnsinn, oder? Ich kann manchmal immer noch nicht begreifen, was für ein Wunder hier passiert ist«, sagt er. Der Begriff Wunder wird oft benutzt, um die ägyptische Revolution zu beschreiben. Doch auch wenn es vielen so vorkommt – besonders im Nachhinein, wo der Blick auf Libyen, Bahrain und Syrien deutlich macht, dass Ägypten mit seiner vergleichsweise friedlichen Revolution wirklich Glück gehabt hat –, die Revolution von Ägypten ist natürlich nicht auf ein Wunder zurückzuführen. Aber woran lag es dann?
Schlechte Zukunftsaussichten vieler Jugendlicher und der Frust über Korruption und Repression sind sicherlich die Ursachen der Revolution. Die Jugendlichen haben die Schnauze voll. Allerdings ist die Krise nicht neu und es stellt |71| sich die Frage, warum die Jugend gerade jetzt auf die Straßen ging. Was mobilisierte sie? Woher nahmen sie den Mut?
Der Begriff »Facebook-Revolution« macht die Runde: Die Jugend habe sich über die sozialen Medien vernetzt und politisiert. Andere widersprechen ganz vehement und führen den Massenprotest auf gute Vorbereitung zurück. Verbreitet ist auch die Ansicht, dass sich Ägypten bei Tunesien angesteckt habe. Erst Ben Ali, dann Mubarak. Oder war es doch die Unterstützung von außen? Die Theorien des gewaltfreien Kampfes spielten eine Rolle, aber welche? In diesem Kapitel werden die verschiedenen Thesen nacheinander vorgestellt und eingeordnet.
These 1: Es war eine soziale Revolution –
Der ägyptischen Jugend reicht es!
Mohammed Hamid lächelt freundlich, doch die verknoteten Hände des 2 4-Jährigen mit braunen Locken und Brille zeigen, wie unwohl er sich fühlt. Die Situation ist unglaublich peinlich, doch womöglich seine einzige Chance. Sein Vater hat einen entfernten Bekannten zum Essen in das Restaurant ihres Sportclubs eingeladen. Das Lokal macht etwas her, ist für Mitglieder aber erschwinglich. Schnell kommt Mohammeds Vater, ein Universitätsprofessor, zur Sache: »Mein Sohn ist fertig mit dem Studium und du kennst doch die Leute von Siemens und Sony. Kannst du ihn da unterbringen?«, sagt er. Der andere, ein Ingenieur in leitender Funktion in einem ägyptischen Ministerium, ist reserviert: »Was sucht er denn?«, erkundigt er sich gelangweilt. Sein Vater stuppst Mohammed an, damit er
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