Wir wollen Freiheit
einrichten. Es gab ja schon den Vorschlag von einem der Minister, dass man aus dem Tahrir so etwas wie Speakerscorner in London machen sollte: Das wäre dann auch gleich eine zusätzliche Touristenattraktion. Wir könnten hier sitzen, bis wir schwarz werden und unsere Parolen herausschreien und sonst geht das Leben weiter«. Sie schüttelt den Kopf. Auch, dass die
Muslimbrüder
mit dem Regime verhandeln und Leute wie Ahmed Zuweil anbieten, das »Tahrir-Problem« zu lösen, findet sie unerträglich.
»Was denken die eigentlich, was wir hier machen«, sagt auch Walied Raschid, der Aktivist von der
6. April
-Bewegung: »Kaspertheater? Dies ist eine Revolution und wir gehen erst nach Hause, wenn der Präsident gegangen ist. Offensichtlich haben wir das noch nicht deutlich genug gesagt, oder der Präsident hört schlecht. Da müssen wir wohl ein bisschen näher kommen.« Die nächste Freitags-Demo soll deshalb zum Präsidentenpalast führen.
Am Abend tritt in einer Talkshow beim Privatsender Dream TV ein gewisser Wael Ghoneim auf. Kaum jemand |60| hat den Namen bisher gehört. Nun sitzt da ein junger Mann mit tiefen Ringen unter den Augen und schaut ernst in die Kamera. Er ist derjenige, der die Facebook-Seite »Wir sind alle Khaled Said« eröffnet hat. Seit im vergangenen Juni der Blogger Khaled Said verhaftet und von der Polizei umgebracht wurde, hatte Wael Ghoneim auf dieser Facebook-Seite Jugendliche gegen die Regierung mobilisiert. Über seine Seite waren die Aufrufe zu der Demo am 25. Januar gelaufen. Wael Ghoneim ist eigentlich Manager im Regionalbüro von Google in Dubai. Zum Tag der Revolte reiste er nach Kairo, doch am dritten Tag der Revolution verschwand er plötzlich. Sicherheitskräfte nahmen ihn mit und niemand wusste, wo er ist. Heute in der Sendung von Mona Schazli berichtet er von seiner Haft. 11 Tage hat man ihn eingesperrt und oft saß er in seiner Zelle mit verbundenen Augen. Dann bricht er in Tränen aus und bittet die Familien der Opfer der Revolution – Märtyrer werden sie genannt – um Vergebung. »Ich sage zu jeder Mutter und zu jedem Vater – das ist nicht unsere Schuld. Dies ist die Schuld eines Diktators, der nicht gehen will«, sagt er unter Schluchzen. Dann springt er auf: »Ich will weg!«, sagt er und verlässt das Studio. Die Revolution, die bisher von einem Komitee von Jugendlichen aus verschiedenen Gruppierungen – Die
6. April
-Bewegung ist ebenso vertreten, wie die Unterstützer ElBaradeis und die Jugend der
Muslimbruderschaft
– organisiert wird, hat plötzlich ein Gesicht: Wael Ghoneim. Er wird aber nicht der Anführer, darauf legen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz Wert. Allerdings beginnt das Prinzip, dass es keinen Führer gibt, die Jugendlichen ins Abseits zu drängen: Andere verhandeln jetzt im Namen der Revolution mit dem Regime. So gründen die Demonstranten heute ein Revolutionskomitee und wählen Sprecher. »Wir wollen die Forderung bekräftigen, dass Mubarak sofort gehen muss«, erklärt einer von ihnen, Ziad al Alimy.
|61| Der Dienstag der Frauen
8. Februar 2011
Heute ist der Tag, an dem sich Haidy Abdel Latif wieder mit ihrer Familie versöhnt. Die 4 1-Jährige ist von Anfang an Feuer und Flamme für die Revolution. Anders als bei ihr lässt die Begeisterung der ersten Tage bei ihren Cousinen jedoch schnell nach. Ihnen gehen der Ausnahmezustand und die Angst auf die Nerven. Das Zerwürfnis geht so weit, dass Haidy getrennte Facebookaccounts anlegt. Eines für die Revolution und ein privates. Der Auftritt von Wael Ghoneim hat das geändert. »Da haben sie ihre Meinung geändert und sind auch zum Tahrir gegangen«, sagt sie. So geht es vielen: »Was diesem jungen Mann angetan wurde, dass geht wirklich zu weit«, sagt Wafaa al Scharaf. Die 5 0-jährige Ingenieurin mit Kopftuch sitzt mit ihren Freundinnen auf einem Bordstein: »Wie Sie sehen können, gehören wir zu den Privilegierten. Es stört uns aber, dass dieses Land von Korruption so zerfressen ist und dass wir von raffsüchtigen Menschen regiert werden, denen nur die eigenen Einkünfte wichtig sind«, sagt sie. In der Hand trägt sie eine kleine ägyptische Fahne. Die Revolte ist in den vergangenen zwei Tagen viel nationalistischer geworden. Der ganze Platz ist ein Meer von Fahnen. Das ist auch eine Reaktion auf die Attacken durch die Regime-Anhänger: »Bist du Ägypter, oder was?«, hatten diese gebrüllt, um Passanten aufzufordern, sich ihnen anzuschließen. Die Demonstranten
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