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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gerlach
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bleibe auf der Straße, und dann schrieb ein dritter: Wenn die Tunesier ihren Präsidenten rausgeschmissen haben, warum nicht wir auch?«, beschreibt Ghada Al Akhdar den Diskussionsverlauf. Die Gewalt produziert Bilder: So dreht sich am zweiten Tag der Proteste viel um das Video des toten Mustapha Mahmoud aus Suez. »Die Märtyrer haben eine sehr wichtige Rolle gespielt. Die Wut über die Gewalt und die Toten hat die Leute auf die Straße getrieben«, sagt die Karikaturistin Samah Farouk.
    Daneben haben Facebook und Twitter natürlich auch eine ganz praktische Funktion: Auf »Wir sind alle Khaled Said« und auch auf der Seite von »RNN«, die sich als eine Art Nachrichtenagentur der Revolte versteht, können die Demonstranten sehen, wo gerade etwas los ist.
    Selbst in den Tagen ohne Internet – fünf Tage lang bleiben die großen Anbieter ausgeschaltet – sei die Facebook-Kultur allgegenwärtig gewesen, beschreibt Ghada al Akhdar: »Viele hatten originelle Sprüche auf ihren kleinen Transparenten, andere staffierten sich selbst zu Avataren aus. Da hatte einer zum Beispiel seiner Katze ein Anti-Mubarak Halsband umgemacht. Diese Verbildlichung ist typisch Facebook«, sagt sie. Zu beobachten seien auch die spontanen Reaktionen gewesen: Online werden sie durch das Klicken auf »like – gefällt mir« ausgedrückt. Offline zeigten die Demonstranten Mubarak ihren Schuh.
    Apropos Mubaraks Reden: »Es waren altmodische Reden. Lang und mit vielen Schleifen, bis er endlich zum Punkt kam«, beschriebt Ghada al Akhdar. Das habe die Jugendlichen ungeduldig gemacht. Schließlich sind sie es gewohnt, dass eine Botschaft nicht mehr als 420   Zeichen inklusive Leerzeichen hat. Statusmeldungen, die länger sind, können nicht |82| gepostet werden. Das ist etwas Neues, denn bisher gab es im privaten Gespräch, aber auch im Medieninterview in der Arabischen Welt einen Hang zur Ausführlichkeit. So sind Livegespräche in deutschen Fernsehnachrichten normalerweise um die drei Minuten. Auf
Al Dschasira
können sie auch gut doppelt so lange gehen. Facebook bringt da neues Tempo.
    »Ich mag es trotz allem nicht, wenn man unsere Revolution eine Facebook-Revolution nennt«, sagt Esra Abdel Fattah. Sie steckt mit einigen anderen hinter dem Aufruf zum Streik vom 6.   April 2008 und ging dafür sogar ins Gefängnis. »Wir benutzen Facebook, weil es perfekte Eigenschaften hat, um Kampagnen zu organisieren. Man kann Gruppen bilden und hat schnellen, persönlichen Kontakt zu Leuten. Das macht es so effektiv«, beschreibt sie. Eine Revolution werde aber nicht über Klicks und Uploads produziert, sondern weil es Missstände gibt, die zu Wut führen und sich dann die Menschen organisieren.
    These 3: Es war keine Facebook-Revolution!
    Sondern, so wie Esra Abdel Fattah sagt, das Resultat jahrelanger Mobilisierungsarbeit. So sieht es auch die öffentliche Revolutionsgeschichtsschreibung. Sogar das Magazin der Café-Kette Cilantro, der ägyptischen Version von Starbucks, widmet sich der Entstehung der Revolution in einer Post-Mubarak-Sonderausgabe. Revolutionsromantik ist chic. Die Cilantro-Chronologie geht auf den Beginn der Zweiten Intifada im Oktober 2000 zurück. In Kairo kam es zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt zu richtig großen Demonstrationen. Das »Volkskomitee zur Unterstützung des palästinensischen Volkes« wurde gegründet, Lebensmittel, Verbandsmaterialien und Geld gesammelt. Es ging um Palästina, aber nicht nur: »Wir würden ja eigentlich auch gerne zu anderen Themen |83| mobilisieren. Zum Beispiel über die schlechte wirtschaftliche Situation und die Arbeitslosigkeit vieler Jugendlicher, aber es ist einfach unmöglich, dies im größeren Stil zu tun«, so Gasser Abdel Razek, einer der Aktivisten, in einem Interview 2000. »Wenn wir arme Familien auffordern, eine Tüte Zucker oder Mehl oder so für Palästina zu spenden, dann geben sie gerne. Zugleich fragen sie natürlich auch, weshalb eigentlich ihre eigene Regierung nichts tut. Diese Diskussionen und die Beteiligung möglichst vieler Menschen sind ein Schritt in die richtige Richtung.«
     
    2004 ist ein entscheidendes Jahr: Es wird immer deutlicher, dass Präsidentensohn Gamal Mubarak als Nachfolger aufgebaut wird. Mehrere Ministerposten werden mit seinen Vertrauten besetzt. Das bringt die Menschen auf. »Kifaya! – Es reicht!« wird der Slogan und der Name einer neuen Bewegung. Es ist eine Sammlungsbewegung, der sich sowohl Linke verschiedener Richtungen als auch

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