Wir wollen Freiheit
räumt hinterher wieder auf. Dies ist das Bild, das Ägypten in Zukunft im Ausland prägen soll!«, sagt Premierminister Ahmed Schafik in seiner ersten Pressekonferenz der neuen Zeit. Im Radio laufen in diesen Tagen Ratgebersendungen: Wie schaffe ich es, mein Leben besser in den Griff zu bekommen? Es werden Tipps zum Zeitmanagement |127| gegeben und auch die Revolutionsjugend geht in eine ähnliche Richtung: »Wir wollen den Geist der Revolution erhalten und ihn vom Tahrir-Platz ins ganze Land tragen«, erzählt Samah Farouk, die Karikaturistin. »Wir haben Massen-SMS verschickt und darin die Menschen aufgefordert, in Zukunft keinen Müll mehr auf die Straße zu schmeißen, keine Bestechungsgelder zu zahlen und die Werte der Revolution im Herzen zu tragen. Wenn die Menschen sich alle nur an diese drei Regeln halten, dann wird dies ein besseres Land«, sagt sie. Diese Aussage ist sehr typisch für die ersten Wochen im neuen Ägypten: Noch fehlt der große Plan für die Zukunft, aber jeder bemüht sich in seinem Leben um einen Neuanfang. Das Land soll so von innen heraus reformiert werden.
Am ersten Freitag nach Mubaraks Sturz ist der Platz voll wie nie zuvor. Der bekannte Prediger und Gelehrte Scheich Youssef al Qaradawi kommt zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in die Heimat – in den 60er Jahren ging der Muslimbruder nach Qatar ins Exil – und leitet das Freitagsgebet auf dem Platz.
Die ägyptische Revolution ist großzügig: Die jungen Revolutionäre lassen auch jene mitfeiern, die zuvor auf die Demonstranten schimpften: »Den einfachen Leuten kann man es nicht verdenken, sie haben der Propaganda der Regierung geglaubt«, sagt Dina Samir, eine Fernsehjournalistin, die von Anfang an dabei war. Mit den Funktionären und Profiteuren des alten Regimes sind die Revolutionäre hingegen nicht so nachsichtig. Es werden Listen mit Namen korrupter Politiker und Geschäftsleute erstellt. Es gibt Proteste in vielen Ministerien und Betrieben. Die Belegschaften fordern die Ablösung ihrer Chefs.
Zugleich treten viele Arbeiter in den Streik. Auch Polizisten, Ärzte und Studenten demonstrieren. Nachdem das große gemeinsame Ziel erreicht ist, melden die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft ihre Einzelinteressen an.
|128| Der Hohe Rat des Militärs, der seit dem Rücktritt Mubaraks in Ägypten die Macht hat, regiert durch Dekrete. Sie werden von einem General im Fernsehen verlesen und anschließend auf die Facebook-Seite der Armee gestellt. Sie versuchen, Ordnung zu schaffen, lassen Demonstrationen verbieten und appellieren an die Bevölkerung, wieder an die Arbeit zu gehen. Der Hohe Rat des Militärs empfängt das Revolutionskomitee. Hierin sind je zwei Vertreter der Gruppen vertreten, die sich an den Vorbereitungen zur Revolution beteiligt haben.
Es wird immer deutlicher, dass die Armeeführung die Macht in der Absicht übernommen hat, das alte System weitgehend intakt zu lassen. Der Präsident wurde abgesetzt, sonst passiert wenig. »Wir müssen sie ständig unter Druck setzen«, sagt Schadi al Ghazali Harb vom Revolutionskomitee. So rufen die Jugendlichen der Revolution weiter Freitag für Freitag zu Demonstrationen auf. Zunächst geht es um die Auflösung des Parlamentes, dessen Abgeordnete ja durch Wahlfälschung auf ihre Sitze gelangt sind. Als Nächstes verlangen die Jugendlichen eine neue Regierung: Premierminister Ahmed Schafik wird durch Essam Scharaf abgelöst. Auch ein Komitee für die Überarbeitung der Verfassung wird eingesetzt.
Am 4. März stürmen mehrere Hundert Jugendliche die Zentrale der Staatssicherheit von Alexandria. In den folgenden Tagen werden auch die Büros der Behörde in Kairo und vielen anderen Städten kurzzeitig besetzt und die Akten mitgenommen. Im Untergeschoss der Staatssicherheitszentrale von Kairo finden sie Orte des Schreckens: »Wir haben Folterzellen gefunden und in einigen waren sogar noch Gefangene«, erzählt Gihad Saif vom Revolutionskomitee. Die Akten nehmen die Jugendlichen mit nach Hause. Die Militärregierung verschickt darauf Massen-SMS und fordert die Bürger auf, die Akten ans Militär abzugeben. »Das haben wir gemacht, denn die Akten müssen geschützt werden. Allerdings |129| haben wir sie vorher gescannt und ins Internet gestellt«, sagt der Aktivist Said Abu Ela. Kurz darauf wird die Auflösung der Staatssicherheit bekanntgegeben. In Zukunft soll eine neue Behörde für Nationale Sicherheit die Aufgaben übernehmen. Abgesehen vom Namen ändert sich
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