Wir wollen Freiheit
Mehr als 70 Prozent stimmen mit »Ja«.
Es gibt mehrere weitere Zusammenstöße zwischen der Armee und der Jugend der Revolution und die Stimmung erreicht Anfang April einen neuen Tiefpunkt. Immer lauter wird die Forderung, den Chef des Hohen Rates des Militärs Hussein al Tantawi abzusetzen. Doch was wird dann? Auch ist von einem Machtkampf im Militär die Rede: Die Luftwaffe und die Präsidentengarden sollen noch aufseiten Mubaraks stehen und für eine Gegenrevolution rüsten. Angeblich werden die Kräfte des alten Regimes darin vom Ausland, besonders von Saudi Arabien, unterstützt. Das Königreich habe kein Interesse, dass die Reformen in Ägypten zu umfassend werden, das Beispiel würde sonst womöglich abfärben.
Diese Gerüchte verstärken sich, als am 7. Mai im Kairoer Armenviertel Embaba gleich zwei Kirchen von
Salafisten
angezündet werden. Teile der radikal-islamischen Bewegung werden seit Jahren von Saudi-Arabien unterstützt. Tatsächlich gibt es viele Anzeichen, dass die Gewalt von Embaba gesteuert war. Ob von Saudi Arabien oder von anderen Kräften, |132| die den Neuanfang behindern wollen, ist unklar. Es hieß, dass in der Kirche eine zum Islam konvertierte Christin gefangen gehalten werde. Die
Salafisten
wollen sie befreien und treffen auf Christen, die ihre Kirche schützen wollen. Richtig eskaliert die Gewalt aber erst, als wieder einmal bewaffnete Schläger dazwischen gehen. Es scheint immer das gleiche Muster zu sein.
Die Gewalt zwischen den Religionen finden viele bedrohlich, nicht zuletzt, weil sie die Touristen fernhält: Wer reist schon gerne in ein Land, in dem Kirchen brennen? Ein Achtel der Ägypter lebt vom Tourismus und auch in anderen Wirtschaftszweigen sieht es wegen Streiks und Konsumflaute derzeit schlecht aus. Mit einem großen Marsch wollen die Jugendlichen der Revolution der schlechten Stimmung etwas entgegensetzen. Kreuz und Halbmond ineinander verschlungen soll zum Symbol der neuen Zeit werden. Viele Christen haben allerdings längst genug von der Revolution, die ihnen nur noch mehr Leid bringt. Sie beginnen einen Sitzstreik vor dem Fernsehgebäude.
Die Uferpromenade vor dem Rundbau wird immer mehr zum Protestort. Verschiedene Gruppen lösen sich ab: Obdachlose, die Familien von Märtyrern und immer wieder Christen belagern das Gebäude. Wenn es viele sind, blockieren sie die Fahrbahn und legen damit den Verkehr lahm. Der Stau zerrt zusätzlich an den Nerven, die bei vielen Ägyptern in diesen Tagen sowieso blank liegen.
Doch dann kommt der 13. Mai und da ist Ägypten wie ausgewechselt. Die Menschen gratulieren sich gegenseitig: »Dies ist der schönste Tag meines Lebens!«, sagt mir ein Freund am Telefon. In der Nacht wurden Hosni Mubarak und seine Söhne verhaftet. Der ehemalige Präsident erleidet daraufhin einen Schwächeanfall und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Gamal und Alaa Mubarak hingegen landen im Thora-Gefängnis von Kairo. Ägypten feiert.
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Al Ahram
druckt Bilder von den Söhnen Mubarak in Gefängniskleidung. Sie sollen verblüfft gewesen sein, dass sie tatsächlich verhaftet wurden. Im Gefängnis treffen sie auf zahlreiche alte Bekannte. »Porto Thora« taufen die Ägypter das Gefängnis; in Anlehnung an ein Luxushotel mit dem Namen »Porto Marina«. So sollen die Gefangenen nicht nur Essen aus feinen Restaurants bestellen, sondern auch per Handy und Internet weiter ihre Geschäfte regeln und die Fäden der Politik spinnen, heißt es.
Einige Unternehmer schließen ihre Firmen. Sie ignorieren die Forderungen der Arbeiter und der entstehenden Gewerkschaften und verhindern zudem, dass die Wirtschaft wieder anläuft. Auch hier spricht man von Konterrevolution.
Fast täglich melden die Zeitungen die Gründung einer neuen Partei. 5000 Gründungsmitglieder aus 10 Governoraten braucht eine Gruppe, um Partei zu werden. Es gelingt nicht, die Kräfte zu bündeln und so entstehen mehrere liberale, ein knappes Dutzend sozialistische und sozialdemokratische Parteien und das islamische Lager spaltet sich in nicht weniger als 14 Parteien. Der Grund für die Zersplitterung sind persönliche Eitelkeiten und Koordinationsschwierigkeiten. So unterscheiden sich die Parteiprogramme nur graduell. Alle wollen die Werte der ägyptischen Gesellschaft schützen und behaupten, im Namen des Volkes zu sprechen. Konkrete Pläne sind Mangelware. Zeitgleich erklären immer mehr Prominente, dass sie für die Präsidentschaftswahlen kandidieren wollen.
Für den
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