Wir wollen Freiheit
weil sie an die Schulmauer schreiben: »Das Volk will das Regime stürzen.« Die Verhaftung bringt die Menschen auf die Straße. Sie protestieren aber auch, weil ihre Regierung Generäle nach Libyen entsandt hat, um bei der Niederschlagung des Aufstands dort zu helfen. Auch in Homs und Hama gibt es Demonstrationen. In Hama sitzt die Erinnerung an 1982 noch tief. Damals wurden mindestens 20 000 Menschen getötet, als die Regierung gegen einen |122| Aufstand der
Muslimbruderschaft
vorging. Auch 2011 ist die Armee alles andere als zimperlich: Es wird von Anfang an scharf geschossen und am 25. April schickt die Regierung Panzer nach Deraa und die anderen Orte, in denen demonstriert wird. In Damaskus gibt es auch einige, allerdings kleine Demonstrationen.
Der Aufstand in Syrien ist zunächst eine Revolte der armen Gegenden gegen die Zentralregierung. Die Bürger von Damaskus halten sich zurück. Sie haben in den vergangenen Jahren von den Wirtschaftsreformen Baschar al Assads profitiert und die Hoffnung wohl noch nicht aufgegeben, dass er sein Versprechen auf mehr Reformen und politische Öffnung wahr macht. Hinzu kommt die Angst vor Repression und dem, was passiert, wenn der strenge Griff sich lockert. »Sicher, Baschar al Assad ist ein Diktator, aber er hat immerhin dafür gesorgt, dass es hier Frieden gibt zwischen den Religionen und den verschiedenen ethnischen Gruppen«, sagt Hany Malik, ein Automechaniker aus Damaskus. Der 2 3-jährige Vater von Zwillingen ist Christ und macht sich große Sorgen: »Wenn die Sunniten oder womöglich die
Muslimbrüder
an die Macht kommen, dann wird es fürchterlich.« Dass es Assad und seinem Vater gelungen ist, die syrische Gesellschaft weitgehend vor den Konflikten zwischen Christen, Muslimen, Sunniten, Schiiten und Drusen zu bewahren, liegt unter anderem an der strengen Zensur: Alles, was mit Religion zu tun hat, ist tabu. Es gilt sogar als unfein, sich nach der Religionszugehörigkeit eines anderen zu erkundigen. Da die Assads selber zur alewitischen Minderheit gehören, haben sie auch nicht – wie viele andere Diktatoren –
Salafisten
gefördert, um so linke Oppositionsgruppen, aber auch die
Muslimbruderschaft
auszubremsen.
»In Damaskus geht das Leben für viele weitgehend normal weiter«, sagt ein 3 2-jähriger Computerfachmann und Blogger Ende Mai. Er gehört zu den Aktivisten von Damaskus |123| und will deswegen seinen Namen lieber nicht veröffentlicht wissen. Die Geheimpolizei sei überall und das mache es so schwer, den Aufstand zu organisieren. »Das fängt damit an, dass wir alle im Internet unter falschem Namen schreiben und es dauert oft lange, bis sich selbst die Mitglieder der gleichen Gruppe bei Protesten erkennen. Die Angst ist groß und keiner will sich zuerst outen«, sagt er. Das macht die Koordination schwierig. »Gerade ist es uns gelungen, eine gemeinsame Erklärung von sechs Gruppen zu veröffentlichen. Es hat allerdings 10 Tage gedauert, bis wir sie abgestimmt hatten«, erzählt er. Seine wichtigste Aufgabe sieht er darin, die Mittelschicht von Damaskus endlich für den Aufstand zu mobilisieren. »Wir brauchen sie, denn das würde das Risiko, dass wir in einen Bürgerkrieg abgleiten, verringern«, sagt er. Doch wie weckt man eine Mittelschicht?
Zum Beispiel durch einen Jungen wie Hamza al Khatib. Der Junge mit dem weichen Gesicht lächelt, wie 1 3-Jährige es tun, wenn sie fürs Familienbild fotografiert werden. Eigentlich sollte so ein Bild auf dem Nachttisch von Großeltern stehen, das sieht jeder, doch Hamzas Bild wird auf Postern durch die Straßen getragen und millionenfach im Internet gepostet. Ebenso wie das Video seiner verstümmelten Leiche. Er wurde am 29. April bei einer Demo in Deraa verhaftet und einen knappen Monat später überbrachte man den Eltern seinen verunstalteten Körper. Sein Vater wurde genötigt, in die Kameras des Staatsfernsehens zu sagen, dass er Baschar al Assad trotzdem liebe. Die Internetseite »Wir sind alle Hamza al Khatib« hat innerhalb von Tagen mehr als 100 000 Fans und es entstehen schnell Untergruppen wie etwa: »Wir sind alle die Mütter von Hamza al Khatib.« International hat das Schicksal des 1 3-jährigen Hamza die Stimmung sehr Zugunsten des Aufstands in Syrien kippen lassen. Nur in Damaskus, da bleibt es immer noch weitgehend ruhig.
|124| Ein anderes Video sorgt ebenfalls für Empörung. Es zeigt eine Gruppe von Demonstranten in einem Vorort von Damaskus. »Salmia – Friedlich«
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